Inhalt

25.01.2004

Joachim Poß in Marl
Der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion beim OV Marl-Mitte

04.01.2004

Marls Mitte auf dem Tiefpunkt
Die Stadt zu Beginn des Jahres 2004

25.11.2003

Kraftwerk oder Seifenblase
Wunschträume von Politikern contra Realität

26.01.2003

Jubilare 2003
Jochen Welt gratuliert

30.11.2002

Der Leitwolf bleibt und beißt
Der angebliche Rücktritt Schulte-Kempers ist CDU-Wahlkampfstrategie

01.01.2002

Der Landrat: ratlos
Beobachtungen im Kreishaus Recklinghausen

 

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25. Januar 2004 - Jahresauftakt des SPD-Ortsvereins Marl-Mitte 

Joachim Poß in Marl

Zur Mitgliederversammlung mit Jubilarehrung hatte der SPD-Ortsverein Marl-Mitte einen prominenten Gastredner gewonnen. Joachim Poß, der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, erläuterte die Maßnahmen der Bundesregierung zum Erhalt der sozialen Sicherungssysteme und erinnerte daran, dass eine lupenreine SPD-Politik wegen der bekannten Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat nicht durchsetzbar war. "Jochen" nahm erfreut zur Kenntnis, dass in den letzten 6 Wochen drei neue SPD-Mitglieder in Marl-Mitte aufgenommen werden konnten. Austritte gab es nicht. "Ich werde es dem Bundeskanzler sagen", versprach Jochen. 
Für 40jährige Mitgliedschaft wurde Karl-Heinz Gottschalk geehrt, der Ortsvereinsvorsitzende Ernst Knopf für 25 Jahre. Jochen überreichte die Urkunden und gratulierte ebenso wie der Bürgermeisterkandidat der SPD Marl, Jens Vogel. 
Jens versprach seinen vollen Einsatz im Wahlkampf, um die CDU-Vorherrschaft in Marl im September 2004 zu beenden,  und rief den Ortsverein zum Wahlkampf auf. 

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3. Januar 2004

Marls Mitte auf dem Tiefpunkt

Nach einem städtebaulichen Wettbewerb 1988/89 und gründlichen Vorüberlegungen des Planungsamtes beschloss der Rat der Stadt in den 90er Jahren einen "Rahmenplan für die Stadtmitte". Zu Beginn des Jahres 2004 ist die Bilanz ernüchternd. Unser Zentrum befindet sich auf einem Tiefpunkt seiner kurzen Geschichte.

Noch immer verschandelt das ehemalige Möbelhaus Hein de Groot den Marler Stern. Immerhin sind die Bauarbeiten für den neuen Busbahnhof im Gange und werden bis Ende 2004 fertig gestellt. Das Entertainment-Center müsste nach langem Hickhack, zu dem auch der Rat beigetragen hat, längst im Bau sein. Das wirtschaftlich wichtige Großprojekt ist gescheitert. An der Stelle des alten Busbahnhofs ist oder war der "Forumsplatz" geplant als der städtebauliche Schwerpunkt im Herzen der Stadt. Wann kommt die Modernisierung des S-Bahn-Haltepunktes Marl-Mitte? Pläne liegen seit Jahren vor. Nichts geschieht. Alles in allem bietet sich in unserem Zentrum ein riesiger Schandfleck dem Auge des auswärtigen Besuchers, der an Marls zentralem Verkehrsknoten umsteigt und sich umsieht. 
 

Das "Forum" von Marl: Busplatte und altes Möbelhaus sind keine gute Visitenkarte. 
Vom gleichen Standort bietet sich beim Blick nach rechts ein erfreulicheres Bild, s. u.

Marl ist l(i)ebenswert, so wird eine der Formeln im Wahlkampf lauten. Vor 30 Jahren, als ich nach Marl kam, mag sie gegolten haben. Eine moderne Stadt baute sich ein neues Zentrum. Es ging vorwärts, auch wenn nicht alles gelang. Heute hofft man nur noch auf die Beseitigung der schrecklichen Bauwerke Busplatte, Möbelhaus, Bahnhof - wohl auch im neuen Jahr vergebens. Dagegen wird der Goliath abgerissen, nicht wegen der schlechten Bausubstanz, sondern wegen der Verwahrlosung im Eingangsbereich und des zunehmenden Leerstandes. Damit vertreibt man mindestens 300 Bewohner des Zentrums, die man im Stern als Käufer vermissen wird. Die Kosten übernimmt die Neuma als "Instrument der städtischen Baupolitik". 
 

Viele Wohnungen auf kleinem Grund - die Hochhäuser, dazwischen auf den großen Freiflächen viel Grün, 
rechts der Goliath. Die Bewohner haben einige exklusive Vorteile: kurze Wege zum Einkaufen und zu Bus 
und Bahn sowie die gute Aussicht.

Was die im Herbst zu wählenden Politiker daraus machen, sollte aus ihren Ankündigungen im Wahlkampf erkennbar sein. Vorsicht ist geboten mit Blendwerk, das gelegentlich angeboten wird. Man kennt ja seine Pappenheimer. Es reicht aber auch nicht aus, die katastophale Lage der städtischen Finanzen kritisch zu beschreiben, nachdem man jahrelang schön gefärbt hat. Die Verwaltung beschwindelte den Rat und gemeinsam beschlossen sie verlogene Haushalte. Es kann kein Zufall sein, dass man Haushaltssicherungskonzept mit HSK abkürzt. Die Langschrift ist zu offensichtlich irreführend. Kein anständiger Haushalt kann immer neue Schulden machen, ohne alte abzuzahlen. Sicherung ist reiner Hohn und ein Konzept hatte der Kämmerer nie.

Der Bürger merkt es ausgerechnet im Wahljahr. Es genügt nicht mehr, Vorschläge und Initiativen zu fordern. Fragen kann jeder. Wer Bürgermeister(in) bleiben, werden oder sie/ihn dirigieren will, sollte auch eine Antwort wissen.

"Die Koryphäen haben keine Ideen" (Karin Knopf).

Auf dem Tiefpunkt angekommen, kann es nur noch aufwärts gehen. Der wirtschaftliche Aufschwung wird in diesem Jahr einsetzen, leider nur begrenzt in unserer Region, weil man den Strukturwandel verschlafen hat. Besserung ist immer noch möglich, wenn man zunächst eine schonungslose Bestandsaufnahme wagt.

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25. November 2003

Kraftwerk oder Seifenblase?

Die gegenwärtige Diskussion um ein Steinkohlekraftwerk in Marl leidet unter der Unkenntnis wichtiger Zusammenhänge und unter vorschnellen Forderungen. Weder Infracor oder Degussa, noch DSK oder RAG werden ein Kraftwerk bauen.

CO2-freies Kraftwerk, Verbrennung der Steinkohle, ohne dass dabei Kohlendioxid entsteht, da sträuben sich vielen Bürgern der Chemiestadt Marl die Haare - so ein Unsinn. 

Richtig ist, dass seit Jahren in NRW mit Unterstützung von Bund und Land über das "Kohlekraftwerk der Zukunft" nachgedacht wird. Das Bundeswirtschaftsministerium hat längst Studien anfertigen lassen. Die Vorplanungen fanden bei den Kraftwerksplanern von RWE, E.ON und Steag in Essen bzw. Gelsenkirchen sowie beim Kesselbauer Babcock in Oberhausen und beim Hersteller von Turbogeneratoren Siemens/ KWU in Mülheim statt. NRW ist das Energieland gerade bei der Kohleverstromung. Die Emscher-Lippe-Region ist die Energieregion Nr.1. Nirgendwo findet man mehr Steinkohlekraftwerke als hier, zwischen Gelsenkirchen und Datteln. 

Aber die Kohlekraftwerke sind in die Jahre gekommen. In absehbarer Zeit, spätestens in 10 Jahren, muss mit dem Ersatz unwirtschaftlich gewordener Altanlagen aus den 60er und 70er Jahren begonnen werden. Dazu kommt, dass für die abzuschaltenden Kernkraftwerke neue Anlagen errichtet werden müssen. Mit Windrädern und Sonnenenergie kann die Grund- und Mittellast nicht ersetzt werden. Gegenwärtig reicht noch die Summe der vorhandenen Leistung, die in den Monopolzeiten der Energiewirtschaft reichlich installiert wurde. Ein modernes Braunkohlekraftwerk wurde von RWE jüngst in Niederaußem/ Rheinland gebaut. Ein neues großes Gaskraftwerk wird in Kürze im begonnen. 

Die heimische Steinkohle muss auch in Zukunft sinnvoll eingesetzt werden. Dafür kommen nur Kraftwerke in Frage. Auf dem Steinkohletag in Essen stellte jüngst die Steag das Konzept CCEC-Kraftwerk mit "Druckkohlenstaubfeuerung" vor. Mit diesem Konzept soll der Wirkungsgrad der Stromerzeugung erhöht und gleichzeitig die CO2-Emission gemindert werden. Die übrigen Emissionen können weiter gesenkt und die Wirtschaftlichkeit der Stromerzeugung weiter verbessert werden. Als Basis dient der Gas- und Dampfturbinenprozess, der für die Erdgasverstromung als Standard gilt und mit höchsten Wirkungsgraden arbeitet. 

E.ON Engineering veranstaltete im Oktober Informationstage in Gelsenkirchen und berichtete über "Anforderungen und Lösungsmöglichkeiten für neue Kraftwerke mit innovativen Betriebsmöglichkeiten bei maximalem Wirkungsgrad und kosten-günstiger Struktur". Die Fachleute sind also am Ball. 

Man sollte sich informieren, ehe man das CO2-freie Kraftwerk fordert. Kohle verbrennen heißt nun mal CO2 erzeugen. Aber CO2 ist ein in der Atemluft ständig präsentes Gas, kein giftiger Schadstoff. Wir Menschen produzieren es ebenfalls und atmen es aus. Es entsteht bei "Verbrennungsvorgängen" in unseren Körperzellen. Pflanzen brauchen es für die Photosynthese und geben Sauerstoff ab. 

Wissenschaftler sind sich weitgehend einig, dass zu viel CO2 in der Erdatmosphäre Schutzschichten beeinträchtigt, zu "Ozonlöchern" führt und die Sonneneinstrahlung begünstigt. Es folgt daraus eine Erwärmung und Klimaveränderung. Man sucht daher nach Möglichkeiten der CO2-Verminderung bei der Verbrennung von Kohle. 

Die Lösung lautet im Prinzip: Je weniger Kohle man verbrennen muss, um eine bestimmte Menge an nutzbarer Energie zu erzeugen, desto weniger CO2 entsteht. Das heißt, die Verbrennung muss effizienter werden, der Wirkungsgrad muss gesteigert werden. Dem dient die Druckkohlenstaubfeuerung und der "Gas und Dampf"-Prozess (GuD) wie bei Gaskraftwerken erprobt und bewährt. 

Die radikale Lösung heißt CO2-Einschluss. Das entstehende Verbrennungsgas wird tiefgekühlt, verflüssigt und in unterirdischen Tanks eingeschlossen. Abgesehen davon, dass man nachfolgenden Generationen ein belastendes Erbe hinterließe, ist auch gegenwärtig wenig Neigung zu solchen Ideen, denn man benötigt reinen Sauerstoff zur Verbrennung. Dessen Herstellung und die Tiefkühlung des Rauchgases verbrauchen einen Teil der erzeugten Energie, was dem Wirkungsgrad und der Wirtschaftlichkeit gar nicht bekommt. 

Die Folge: Ein solches Kraftwerk ist nicht konkurrenzfähig. Es wird vermutlich nie gebaut werden. Allein die Forderung nach einem CO2-freien Kraftwerk kann für die Kohleverstromung hinderlich bis tödlich werden. 

Keinesfalls kommt diese Technik für ein "Referenzkraftwerk" in Betracht. Damit ist ein Steinkohlekraftwerk neuester Technik mit höchstem Wirkungsgrad und niedrigstem Schadstoffausstoß gemeint, das der öffentlichen Stromversorgung dient und im In- und Ausland baugleiche oder bauähnliche Nachfolger findet. So ein Kraftwerk kann aber nicht gleichzeitig auf die speziellen Anforderungen der Energieversorgung des Marler Chemieparks ausgerichtet werden. Der Chemiepark braucht neben Strom auch Wärme und Prozessdampf. Das bedingt eine abweichende Auslegung der Hauptkomponenten Dampferzeuger, Turbogenerator und Kühlkreislauf. 

Mögliche Investoren und Betreiber für ein modernes Steinkohlekraftwerk sind in erster Linie die Steag AG, Essen und E.ON Kraftwerke AG, die in NRW über mehrere Standorte verfügen, an denen Steinkohle verstromt wird. Gerade weil an diesen Standorten ältere Blöcke in einigen Jahren stillgelegt werden müssen, eignen sie sich am besten für den Neubau, weil alle Nebenanlagen weiter genutzt werden können: Kohlemischlager, Aufbereitungsanlagen für Kesselspeisewasser und Kühlwasser, Netzeinspeisung des erzeugten Stroms, Flugasche-Entsorgung, Gipslager oder sogar Gipsverarbeitung, Labors, Betriebsgebäude usw. Wichtig sind auch die eingespielten Belegschaften und die Erleichterung von Genehmigungsverfahren, da die Flächennutzung nicht verändert wird. 

Die von Steag in Betracht gezogenen Standorte sind Voerde, Walsum und Herne. Steag-Chef Dr. Melchior sagte am 11. 11. 2003 in Essen auf dem Steinkohletag: "Es kann einen dreistelligen Millionenbetrag kosten, wenn man einen neuen Block zu früh baut. ... Die Differenz zwischen kostendeckenden Preisen eines Neubaus und abgeschriebenen Anlagen lässt erheblichen Spielraum für so genannte Retrofit-Maßnahmen, wozu wir uns bei Steag grundsätzlich entschieden haben." 

E.ON würde in Gelsenkirchen-Scholven oder Datteln bauen. Die Entscheidung braucht erst in 5 Jahren zu fallen, wenn man vom Ersatzbedarf ausgeht. Zwei Jahre brauchen die Genehmigungsverfahren und parallel dazu die Ausführungsplanung. Bei einer Bauzeit von 3 bis 4 Jahren ist eine Fertigstellung in 2013/14 möglich. Eher braucht man das neue Kraftwerk nicht. Noch bis 2014 sind die ältesten Scholvener Blöcke B, C, D und E unter Vertrag. Ein Neubau würde zu höheren Preisen liefern müssen und bekommt daher erst in rund 10 Jahren eine Chance. 

Ein weiterer wichtiger Hinderungsgrund für einen früheren Neubau sind die noch nicht geklärten politischen Fragen des Emissionshandels, insbesondere der Preis für die CO2-Zertifikate, die die Kohleverbrennung belasten werden. Gas dagegen verbessert seine Wettbewerbsposition. Das europäische Recht für den Handel mit Emissionszertifikaten ist in Arbeit. Die deutsche Umsetzung ist kaum angedacht. Ein zu hoher Preis kann den Bau von Kohlekraftweken weiter verzögern oder sogar verhindern. Bei etwa 15 € pro Tonne CO2 kommen die Kosten in den Bereich der Brennstoffkosten. (Die Verbrennung einer Tonne Kohle produziert drei Tonnen CO2.) Es würden dann vorwiegend oder ausschließlich Gaskraftwerke gebaut. Sicher ist ja auch nicht, ob im Jahre 2013 noch deutsche Steinkohle zu Weltmarktpreisen zur Verfügung steht, da die Subventionen kürzlich nur bis 2012 beschlossen wurden. 

Mit einer vorhandenen Zeche kann ein Kraftwerksstandort nicht mehr begründet werden. Man vergegenwärtige sich nur, dass ein 2013 ans Netz gehendes Kraftwerk bis mindestens 2043 betrieben werden soll. 

Der Chemiepark Marl ist ein großer und wichtiger potenzieller Kunde für Energielieferanten. In den vergangenen Monopolzeiten der Energiewirtschaft bevorzugten die Chemischen Werke Hüls bzw. die HÜLS AG die kostengünstigere Eigenversorgung. Die Nachfolgegesellschaft Infracor wirbt: "Durch den Betrieb von drei Industriekraftwerken innerhalb des Chemieparks Marl mit Anschluss an das öffentliche Netz können wir Ihnen ein nahezu konkurrenzloses Preis-Leistungs-Verhältnis bei der Energieversorgung anbieten. So erfolgt beispielsweise die Dampf- und Stromerzeugung mittels effizienter Kraft-Wärme-Kopplung. Darüber hinaus bieten die Kraftwerksblöcke die Möglichkeit, Abfälle aus ihrer Produktion thermisch zu verwerten."

Wenn die am Standort Chemiepark vorhandene Energie-Erzeugung altersbedingt ersetzt werden muss, ist es sicher zweckmäßig, auch weiterhin die Energien Wärme, Kälte, Prozessdampf und Druckluft vor Ort zu produzieren, um Leitungsverluste gering zu halten. Beim Strom stellt sich der Wettbewerb völlig verändert dar. Die Erzeugung elektrischer Energie gehört nicht zu den Kernkompetenzen der Infracor. Sie will die Versorgung zu günstigsten Bedingungen sicher stellen, muss aber nicht mehr selbst produzieren. Die Lage am Markt ermöglicht den preisgünstigen Einkauf. 

Eine Alternative ist ein langfristiger Liefervertrag für alle Energien, die Infracor dann weiter verteilt, mit einem Kraftwerksbetreiber, z. B. Steag. Steag investiert und betreibt, liefert die Energien an Infracor zur Weiterleitung. Um ein Kraftwerk an diese Anforderungen anzupassen, wäre eine spezielle Auslegung aller Hauptkomponenten notwendig: Dampferzeuger (Kessel), Turbogenerator, Kühlkreislauf einschließlich Kühlturm usw. Darüber hinaus müsste, um einen wirtschaftlichen Betrieb zu ermöglichen, ein Liefervertrag zur öffentlichen Versorgung abgeschlossen werden. VKR (heute E.ON Kraftwerke und Engineering) hat mit dem Kraftwerk Schkopau einschlägige Erfahrungen gesammelt. Die Probleme waren schwierig, aber lösbar. 

Ein solches Kraftwerk wäre eine Sonderanfertigung, kein Referenzkraftwerk. 

Zusammengefasst: Niemand in der Energiewirtschaft zieht Marl in Betracht als Standort für ein Steinkohle-Referenzkraftwerk. 

Merkwürdig verquer läuft die politische Diskussion. Im "Düsseldorfer Signal" der NRW-Landesregierung vom Juni 2003 wird ein CO2-freies Steinkohle-Kraftwerk versprochen. Sie wissen nicht, was sie schreiben. Die Aussage hat man sich von einem Industrieboss mit großen politischen Erfahrungen bestätigen lassen. Von der Technik versteht er offenbar nichts. Der zuständige Landesminister erwartet den Baubeginn eines Steinkohlekraftwerkes etwa in 2005, nicht CO2-frei, aber mit 25 % geringerem CO2-Ausstoß gegenüber zu ersetzenden Altanlagen. Eine Subventionierung der Baukosten schließt die Landesregierung glaubwürdig aus. 

Der Chef der Staatskanzlei meint, das RWE würde sich bald für einen Neubau entscheiden. Unter rein marktwirtschaftlichen Bedingungen ist der frühe Neubau eines Steinkohle-Kraftwerkes reines Wunschdenken. Klar, dass die Landesregierung gerne eine Grundsteinlegung vor der Wahl 2005 sähe. Das wird aber nichts werden, leider. 

In Marl diskutieren lokale Politiker einen Kraftwerksneubau nur, weil sie glauben, dass es ihrem Image dient. Mit Fakten ist es nicht unterfüttert. Die CDU will ihre industriefeindliche Haltung zur Westerweiterung vergessen machen. Die SPD will beim Thema Kohle keinesfalls in die zweite Reihe rücken. Sie wollen diesen süßen Traum

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Jubilare 2003

Die Mitglieder des SPD-Ortsvereins Marl-Mitte versammelten sich am Sonntag, den 26. Januar 2003 zum Jahresauftakt und zur Jubilarehrung im Parkhotel "Golden Tulip". Christel und Hans Zech konnten ihre 50-jährige Mitgliedschaft feiern. Unser Werbeobmann Dietrich Böhmer ist seit 40 Jahren Mitglied der SPD, Alois Stephan seit 25 Jahren. Jochen Welt MdB sprach als Ehrengast die Glückwünsche aus. 


Die Jubilare Dietrich Böhmer und Alois Stephan mit Jochen Welt

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30. November 2002

Der Leitwolf bleibt und beißt

Die CDU Marl bekämpft jetzt offen die eigene Bürgermeisterin

Am 26. November 2002 schrieb die Marler Lokalpresse "Schulte-Kemper gibt die politischen Ämter auf" und "HSK kündigt Rückzug an". Einen Moment lang dachte mancher, man müsse einen politischen Nachruf auf einen der einflussreichsten Lokalpolitiker des nördlichen Ruhrgebietes verfassen.

Aber Hubert Schulte-Kemper, der Vorsitzende der Marler CDU und der Ratsfraktion, wird der Politik erhalten bleiben. Er wird sich weder zurückziehen noch alle politischen Ämter aufgeben. Er bleibt in der Fraktion und im Parteivorstand, denn die CDU kommt ohne ihn nicht aus. Er behält den Vorsitz im Aufsichtsrat der Vestischen Straßenbahnen, den Vorsitz im Aufsichtsrat der Neuen Marler Baugesellschaft sowie den Vorsitz im Ratsausschuss für die Paracelsus-Klinik. Dazu strebt er den Vorsitz im Immobilienausschuss der Stadt an. Jeder in Marl weiß, wie er die verschiedenen Vorsitze politisch und für seine Öffentlichkeitsarbeit nutzt. 

Wenn er den Fraktionsvorsitz im März 2003 an Günter Zöllner abgibt, so wird dieser gewiss ein treuer Erfüllungsgehilfe sein. Dann darf wohl Anneliese Scheffler den Parteivorsitz übernehmen und den Kurs fahren, den man ihr vorgibt.  Schulte-Kemper entlastet sich von der Rolle des Bösewichts im Rat, die er seit langer Zeit spielte, und ebenso von der Notwendigkeit, die Partei intern zu streicheln. Dafür hat er treue Helfer. Die Entscheidungen über den Kurs der Partei und die wichtigen Personalfragen, wie Kandidaturen für Wahlen, trifft weiterhin der Große Vorsitzende. (Nachtrag: Fraktionsvorsitzender wurde K.-H. Dargel, den Parteivorsitz behielt HSK.)

Wozu das ganze? Er wolle der Diskussion um "die böse CDU und die liebe Bürgermeisterin ein Ende bereiten" und "der Bevölkerung den wahren Sachverhalt schildern". Der Kern seiner Botschaft ist der endgültige Bruch mit Uta Heinrich, der Bürgermeisterin der Stadt Marl seit Herbst 1999, deren Kandidatur er selbst lanciert hat. Das sei ein großer Fehler gewesen, sagt Schulte-Kemper, denn so etwas von Undankbarkeit hat er noch nie erlebt. Kaum im Amt zeigt sie, dass sie einen eigenen Kopf hat, und zwar einen recht harten Dickkopf. 

Der Spaziergang in Frentrop 

Nach zwei Jahren, im Sommer 2001, hatte HSK die Faxen dicke. Ein Parteitag zum Hinauswurf war schon vorbereitet. Da zuckte HSK noch einmal zurück. Frau Heinrich hatte im Wahlkampf und im Amt Sympathien gewonnen, wie sie der CDU und ihren führenden Repräsentaten in Marl noch nie zu Teil geworden waren. Daher rieten strategisch denkende, weise Parteifreunde von einer Trennung im Affekt ab. In dem berühmt gewordenen Frentroper Spaziergang arrangierten sich die Hauptfiguren der Partei noch ein letztes Mal. In zwei für Frau Heinrich wichtigen Fragen gab Schulte-Kemper nach. Er stimmte nun im Rat für die Westerweiterung des Chemieparks und für den von der Bürgermeisterin favorisierten Wirtschaftsförderer. 

Bald zeigte sich, dass eine vertrauensvolle Zusammenarbeit unmöglich war. HSK hatte die Fraktion auf seiner Seite, nachdem die letzten Abweichler unterjocht oder ausgeschieden waren. Frau Heinrich hatte keine Abwehrchance, sie konnte niemandem eine Kandidatur zum nächsten Rat versprechen oder verweigern. Wenn sie in die Fraktion kam, wurde sie wüsten Beschimpfungen ausgesetzt, wobei ihr immer wieder vorgeworfen wurde, zu spät oder unvollständig über laufende Geschäftsvorgänge im Rathaus zu berichten. Sie wollte vermeiden, diese Dinge kurz darauf in der Zeitung zu lesen. HSK ist ja dafür bekannt, dass er gerne die guten Nachrichten selbst verkündet. Schlechte Nachrichten verpackt er in strenge Vorwürfe, denn im Grunde hält er das Rathauspersonal komplett für inkompetent. Ab Jahresmitte 2002 ersparte sich die Bürgermeisterin die Anwürfe der Fraktion durch Fernbleiben. In der Fraktion staute sich der Ärger höher, aber das normale Parteimitglied wollte immer noch beide Protagonisten gemeinsam handeln sehen. 

SIE oder ER ? 

Das Problem konnte HSK nur lösen, indem er den Konflikt auf die Frage "sie oder er?" zuspitzte. Er musste seinen Rückzug ankündigen oder androhen. Die Mitglieder der Partei konnten dieses Dilemma schnell lösen. Er ist seit mehr als 20 Jahren die treibende Kraft der CDU, der Ideengeber, der unermüdliche Kämpfer, Motor und Kopf der Partei, eben der Große Vorsitzende. Sie dagegen kam als Seiteneinsteigerin erst aus Anlass ihrer Kandidatur in die Partei und hat keinerlei Hausmacht. Nach der Zuspitzung hatte Schulte-Kemper sofort gewonnen. Er ist unersetzlich. Sie schmückte die Partei im Wahlkampf, jetzt ist sie entbehrlich. 

Gemeinsam versagt

Nachdem die CDU jegliche Zusammenarbeit mit ihrer Bürgermeisterin aufgekündigt hat, wird zum Schaden der Stadt die politische Arbeit im Rat und in der Stadtverwaltung erheblich erschwert. Zu den Grabenkämpfen tragen die beiden CDU-Beigeordneten, die HSK für ihre Wahl oder Wiederwahl Dank schulden, wesentlich bei. Es wäre ein Wunder, wenn unter solchen Umständen erfolgreiche Politik gemacht würde. Weder in den städtischen Finanzen noch in der Wirtschaftsförderung oder in der Stadtentwicklung wurden die Fortschritte erzielt, die im Wahlkampf 1999 versprochen wurden. 

Im Gegenteil. Die Stadt reduziert Leistungen für die Bürgerinnen und Bürger. Hallenbad und Schacht 8 wurden geschlossen. Der Schuldenstand steigt trotzdem weiter. Es gibt nicht einmal einen genehmigungsfähigen Haushalt. Die Stadt ist damit handlungsunfähig. Auch bei den geoßen Vorhaben der Wirtschaftsförderung, in der Stadtentwicklung und bei allem, was Kinder  und Jugendliche betrifft, fehlen jegliche Erfolge. Der Busbahnhof wird in absehbarer Zeit nicht gebaut. Das Entertainment-Center ist in der geplanten Form geplatzt, jedenfalls kommt kein Multiplex-Kino in die Stadtmitte. Der Umbau der südlichen Bergstraße stockt. In den zentralen Punkten ist die Politik der Bürgermeisterin und der CDU vollständig gescheitert. 

Der Hintergrund ist Wahlstrategie

Natürlich verweist Schulte-Kemper nicht zu Unrecht auf die Tatsache, dass die städtischen Schulden seit den 90er Jahren wachsen und das konjunkturelle Umfeld und die Steuerpolitik von Land und Bund nicht dem Stadtkämmerer vorzuwerfen sind. Aber will sich der Wähler im Jahre 2004 solch komplizierte Zusammenhänge erklären lassen? Und die Investitionen in der Stadtmitte, die wieder fraglich geworden sind, hat die CDU immer skeptisch gesehen, denn die Planungen stammen aus der Amtszeit des Bürgermeisters Fliedner (SPD). Auch die Westerweiterung des Chemieparks ist zweifelhaft geworden, weil die Umsiedlung der Bewohner "In der Schlenke" auf finanzielle Probleme stößt. Es ist doch besser, sich von jeglicher Haftung frei zu machen. Deshalb beschloss Hubert Schulte-Kemper, die Schuld für das gemeinsame Versagen ausschließlich der Bürgermeisterin zuzuschieben. Die CDU will befreit von jeglicher Verantwortung in den nächsten Wahlkampf gehen. 

Alpha-Tier, Narziss und Sensibelchen

In keinem Umfeld gibt sich Hubert Schulte-Kemper mit einem Platz in der zweiten Reihe zufrieden. Er ist beruflich Chef einer Hypothekenbank, in seinem Hobby - der klassischen Musik - natürlich auch vorn dran als Vorsitzender eines Fördervereins für Klassische Musik, als Vorsitzender des Freundeskreises für Musik und Kunst und als Vorsitzender des "Europäischen Klassik Festivals Ruhr." - Das ist schon beeindruckend. Überall tut er etwas und teilt es öffentlich mit. Alle Aktivitäten aufzulisten, ist kaum möglich. Der Heimatverein sei noch erwähnt. Und er schafft es, das alles mit seiner verantwortungsvollen beruflichen Aufgabe zu vereinbaren und zu verbinden, indem er Kontakte und Ressourcen nutzt. 

Der große Blonde ist überall der Leitwolf. Wenn ihm jemand sein Revier streitig macht, beißt er. Wer hat ihm je so deutlich Grenzen aufgezeigt, wie die Marler Bürgermeisterin. Bisher hat er alle Kämpfe gewonnen, es waren viele seit er den Bauernhof in Klein-Herne verließ. Er kämpft mit harten Bandagen und mit dröhnender, schneidender Stimme. "Sehen Sie, wie weit ich gekommen bin, da kann ich doch nicht alles falsch gemacht haben" sagt er dazu. Seine Selbstzufriedenheit geht bis zur Bewunderung des eigenen Spiegelbildes und erinnert an Narkissos aus der griechischen Mythologie. So gern HSK andere hart angreift, so wenig verträgt er Angriffe anderer und reagiert empört. Er ist leicht reizbar. Für ihn selbst  ist das ein Zeichen von Sensibilität. 

Die zierliche Frau im Marler Rathaus ist aus härterem Holz geschnitzt. 

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Beobachtungen im Kreishaus Recklinghausen      Januar 2002

Der Landrat: ratlos

Der Zukunftsinvestitionsfonds

     Das Thema der Jahre 2000 und 2001 war die wirtschaftliche Zukunft unserer Region, die durch die Großindustrie geprägt ist, aber in den Branchen Bergbau und Chemie schwer wiegende Probleme bekommen hat. Monatlich bis zu 1000 Arbeitsplätze gingen in der Emscher-Lippe-Region verloren. Es war daher richtig und fand auch die Zustimmung der SPD, dass im Jahr 2000 der Kreistag den Verkauf seiner VEW-Aktien beschloss, um die Erlöse von rund 74 Millionen DM für Zukunftsinvestitionen einzusetzen. Das Geld sollte für Projekte verwendet werden, die dem Strukturwandel dienen und dauerhaft Arbeitsplätze schaffen. Schon im September 2000 schlug die SPD-Fraktion dem Kreistag zwei Projekte mit kreisweiter Bedeutung vor, die die zukunftsträchtigen Informations- und Telekommunikationstechnologien voran bringen sollten: eine Akademie für Informatik und eine Multimedia-Initiative. Beiden Anträgen stimmte der Kreistag mit großer Mehrheit zu. Jedoch weigerte sich die schwarz-grüne Mehrheit, der Akademie eine Anschubfinanzierung aus den VEW- Erlösen zu gewähren. Man wollte eigene Projekte fördern, hatte aber keine Ideen.

Ein Gut(?)achten ...

     Deshalb holte der Landrat ein Gutachten über "Zukunftsinvestitionen für den Kreis Recklinghausen (ZIRE)" ein, das im Februar 2001 vorlag. Grundgedanke war, die Aktienerlöse in der Art einer Stiftung zu verwalten und revolvierend zu vergeben. Die Zuschüsse zu Projekten sollten also nur als Darlehen ausgereicht und zurück gezahlt werden. Für die Mittelverwendung wurden im Gutachten viele Bereiche angesprochen und wenige ausgelassen. Es wäre aber nützlicher gewesen, Schwerpunkte zu setzen oder konkrete, förderungswürdige Projekte zu benennen. 
     Einen wesentlichen Teil des Gutachtens bildeten die Ausführungen über die Wirtschaftsstrukturen des Kreises, die dem Landrat inzwischen bekannt gewesen sein sollten. Ebenfalls ausführlich wurden neu zu schaffende Organisationen behandelt, eine ZIRE Agentur GmbH als Gesellschaft zur Wirtschaftsförderung und eine ZIRE VC-Fonds GmbH zur Verwaltung und Verteilung des Vermögens. Beiden Gesellschaften wäre wegen des revolvierenden Charakters des Fonds ein dauerhaftes Wirken gesichert gewesen. (Waren das die zu schaffenden Arbeitsplätze?) 
     Die schnelle positive Reaktion des Landrates und der CDU-Kreistagsfraktion ließen vermuten, dass das Ergebnis so gewünscht war. Beide Gesellschaften hätten fachlich gut qualifiziertes Personal und einen Beirat benötigt. Sie hätten Verwaltungskosten bis zu einer Größenordnung von 1 Million DM jährlich verursacht sowie Pfründe für einige Kreispolitiker geschaffen. Ideen für Projekte gab es immer noch nicht. Im Rückblick erkennt man, dass sich der Landrat gar nicht in der Pflicht sah, Projekte zu entwickeln oder von den Städten entwickeln zu lassen. Er wollte es der geplanten Agentur GmbH überlassen. Das hätte aber bedeutet, dass im Jahr 2001 noch kein einziges Projekt zu Stande gekommen wäre. 

... für den Papierkorb

     Aus den Städten Haltern, Dorsten und Marl wurde eine unmittelbare Verwendung der VEW-Aktienerlöse zur Sanierung aller Schulen der Städte und des Kreises vorgeschlagen. Mit Landeszuschüssen entstünde ein Investitionsvolumen von rund 150 Millionen DM. Damit erhielten insbesondere das Baugewerbe und das Handwerk einen Auftragsschub. Für etwa drei Jahre würden in diesen Branchen auch Arbeitsplätze geschaffen oder gesichert. 
     Dieser kurzfristig wirksame Vorschlag war immerhin besser als der des Gutachters. Mittel- bis langfristige Wirkungen, die auf den notwendigen Strukturwandel abzielen, hätte man damit natürlich nicht erreicht. Aber die Städte hatten eigene Ansprüche auf die VEW-Aktienerlöse angemeldet. Das blieb ein heißes Thema im gesamten Jahr 2001. Die Finanznot der Städte, die unter ihren Haushaltssicherungszwängen ächzen, konnte vom Kreis nicht einfach ignoriert werden. Daher beschloss der Kreistag, 20 Millionen DM den Städten zum Zweck der Schulsanierung auszuschütten. 
     Für die ZIRE-Gesellschaften blieben 54 Millionen, aber ihre Gründung verzögerte sich aus juristischen Gründen.  Schließlich wurde im Sommer 2001 mitgeteilt, dass das Modell des Gutachtens nicht realisierbar war. Das rund 300.000 DM teure Papier verschwand im Papierkorb. 

Der Landrat gegen die Bürgermeister

     Die Millionen lagen im Herbst 2001 seit einem Jahr beim Landrat auf der hohen Kante. Dem Strukturwandel dienten sie dort nicht. Der Landrat wusste immer noch nichts mit dem Geld anzufangen. Ganz anders die Städte. Sie verlangten eine Verteilung nach dem üblichen Schlüssel. Noch einmal gab der Landrat teilweise nach. Er schlug am 29. Oktober dem Kreistag vor, 40 Millionen DM gemäß dem Verteilungsschlüssel den Städten zu geben, wenn sie für konkrete, beschäftigungswirksame Projekte eine Restfinanzierung benötigen. Die Verteilung wurde an bürokratische Erfordernisse gebunden. Die Städte müssen für ihre Vorhaben zunächst alle anderen Quellen ausschöpfen, dann Anträge stellen und schließlich auf die Entscheidung einer Vergabekommission des Kreistages hoffen. 
     Schnipper wollte für kreisweite Aufgaben 14 Millionen DM behalten. Dem widersprach die SPD im Kreistag mit ihrer Forderung, das ganze Geld direkt an die Städte auszuzahlen. In der Diskussion machte Karl-Heinz Rusche (SPD) aus Oer-Erkenschwick deutlich, dass die Planungshoheit ohnehin bei den Städten liegt, und dort gehöre dann auch das Geld hin. Obwohl sich bei der geheimen Abstimmung Risse in der christlich-grünen Front zeigten, wurde der Antrag mit  33 zu 35 Stimmen abgelehnt. 
     Das war kein guter Tag für die Städte des Kreises Recklinghausen. 

Der Landrat ist ratlos

     Entlarvend für die Ratlosigkeit des Landrates ist die Auflistung der Zwecke, denen die 14 Millionen DM dienen sollen. In seiner Beschlussvorlage hieß es wörtlich:
"Als Beispiele nicht standortgebundener Themenentwicklungen mögen gelten:
-   Mitgliedschaft im Olympia-Zweckverband
-   Flächenpool für Ausgleich und Ersatz
-   Beteiligung an der NewPark-Gesellschaft
-   Ausbildungsförderung und Existenzgründungsberatung
-   Themenentwicklung "Vernetzter Tourismus" einschließlich Mitgliedschaft in der Ruhrgebiet Tourismus GmbH & Co KG
-   Beteiligung ELA
-   Aktion "Pro Mittelstand" einschl. "Regionales Genehmigungsmanagement"
-   Mitgliedschaft PPP-Gesellschaft "Digitales Ruhrgebiet", vornehmlich e-government-Entwicklung" (Zitat Ende)

     Der SPD-Unterbezirksvorsitzende Jochen Welt MdB warf die Frage auf, ob hier gegen das Haushaltsprinzip von Klarheit und Wahrheit verstoßen wird. Darüber hinaus wird die vom Kreistag beschlossene Zweckbindung unterlaufen. Mit Ausnahme der Beteiligung an der NewPark-Gesellschaft ist keine reale Zukunftsinvestition zu erkennen. Die Mitgliedschaft im Olympia-Zweckverband, für die fast 500.000 DM bereit gestellt werden, die mit einiger Wahrscheinlichkeit nichts bringen werden, ist wenigstens noch eine konkrete Maßnahme. Alles weitere in der Auflistung gehört in den Verwaltungshaushalt des Kreises und ist unter der Überschrift "Zukunftsinvestition" eine Dokumentation des Unvermögens. 
     Man muss auf Zukunftstechnologien setzen und darf den Zukunftsinvestitionsfonds, der seinen Namen nicht zufällig trägt, weder langfristig festlegen noch kurzfristig verfrühstücken.

Das Land will helfen

     Ministerpräsident Wolfgang Clement erklärte in den Monaten vor wie nach seiner Wiederwahl (Mai 2000) unermüdlich, dass er entschlossen ist, dem Ruhrgebiet alle denkbaren Hilfen zu gewähren, um die wirtschaftliche Entwicklung und den Strukturwandel voran zu treiben. Bei seinen Reden im nördlichen Ruhrgebiet verwies er immer wieder auf den Umstand, dass die besonderen Hilfen der Europäischen Union für Ziel-2-Gebiete nur noch bis 2006 zur Verfügung stehen. Dafür maßgeschneiderte Projekte müssten aber aus der Region selbst vorgeschlagen werden. Die Landesregierung gründete die Projekt Ruhr GmbH, um unabhängig von der manchmal etwas schwerfälligen Ministerialbürokratie schnelle und wirksame Hilfe zu leisten. 
     Als Transmissionsriemen für die guten Absichten des Landes mit Zielrichtung auf die kommunale Ebene wurde ein Innovationsbeirat eingerichtet. Für den Kreis Recklinghausen gehört diesem Gremium nur Landrat Hans-Jürgen Schnipper an. Es gibt Anlass zur Vermutung, dass der Landrat nur zum Kaffeetrinken den Sitzungen beiwohnte (oder bevorzugt er Tee?). Eine Vermittlung von Erkenntnissen oder Einsichten aus diesem äußerst wichtigen Gremium an die Städte gab es jedenfalls nicht. 

Entwicklungsschwerpunkte des Kreises Recklinghausen

     Ohne jede Vorwarnung, plötzlich und unerwartet machte am 28. April 2001 ein Mitarbeiter des Landrates die Wirtschaftsförderer in den kreisangehörigen Städten mobil. Nicht mehr als zehn Arbeitstage wurde ihnen Zeit gegeben, um Projekte der Städte beim Kreis anzumelden, die der Landrat gesammelt an die Projekt Ruhr GmbH in Essen weiterleiten wollte. Die Eile war wirklich geboten, denn bis Mitte Juni wollten die Essener ihrem Aufsichtsrat, der nahezu identisch ist mit dem Landeskabinett, fundierte Empfehlungen für unterstützungswürdige Projekte vortragen. Man fragt sich, wann der Landrat zu diesem Geistesblitz kam. Aus Dortmund und Oberhausen waren spektakuläre Projekte, für die die Projekt Ruhr GmbH ihre Befürwortung signalisierte, längst in der Presse dargestellt worden. 
       Am 15. Mai 2001 präsentierte der Landrat in einer Sitzung des Wirtschaftsausschusses des Kreistages stolz seine 66 "Entwicklungsschwerpunkte für den Kreis Recklinghausen" in Form einer gut gestalteten Broschüre, die auch farbige Illustrationen und Pläne enthielt. Die schöne Verpackung enthielt recht kärgliches Gedankengut. Auch wenn man nicht den Maßstab eines Naturwissenschaftlers anlegt, macht allein schon die Zahl von 66 "Schwerpunkten" klar, dass der Landrat die Aufgabe nicht begriffen hatte. 
     Projekte für einen Stadtteil im Wert von 30.000 DM und ähnliche Micky-Mouse-Vorhaben dem Ministerpräsidenten als Entwicklungsschwerpunkte vorzuschlagen, konnte nur als große Peinlichkeit empfunden werden. Andererseits enthielt die Broschüre auch die Offenlegung bisher vertraulich bearbeiteter Pläne für den Chemiepark in Marl. Der Landrat wusste nicht, was er tat. Böse Absicht ist nicht zu unterstellen, aber eine gehörige Portion Naivität, die um so unverständlicher ist, weil er aus Marl stammt. Die Marler Lokalpresse, zuerst die WAZ, erkannte dagegen schnell die Brisanz des Themas. Bei einer Westerweiterung des Industriegeländes müsste die komplette Schlenke-Siedlung geräumt werden. 
     Er habe die von den Städten und der Emscher-Lippe-Agentur gemeldeten Projekte nur "gebündelt", lautet die Entschuldigung des Landrates bzw. die Distanzierung von einem Papier, das unter seinem Namen veröffentlicht wurde. Genau diese mangelnde Einflussnahme auf den Inhalt einer Zusammenstellung, die für die Zukunft des Kreises entscheidende Bedeutung haben sollte, ist der Vorwurf, der dem Landrat hier zu machen ist. Wenn man Schnippers Argumentation folgt, sollte er auf die Mitgliedschaft im Innovationsbeirat verzichten und dafür die Bürgermeister der zehn Städte bitten, sich beim Land direkt zu informieren. Er erklärt damit selbst seine Inkompetenz. 

Dumm gelaufen

     Die Projekt Ruhr GmbH war entsetzt, verärgert und schließlich nur noch belustigt über so viel Unvermögen. Man bat um Nachbesserung. Diese Aufforderung leitete der Landrat im September an die Städte weiter, wiederum mit einer engen Terminvorgabe. Nachdem der Termin zur Jahresmitte geplatzt war, sollte der Kreis Recklinghausen wenigstens bei der nächsten Verlosung am Jahresende beteiligt sein. Die auf 22 Projekte reduzierte Fortschreibung der Projektanmeldungen wurde am 25. Oktober auf den Weg nach Essen gebracht, nachdem die zuständigen Ausschüsse das Papier ohne Diskussion von Einzelheiten gebilligt hatten. Erst am 29. Oktober stimmte der Kreistag formell der neuen Zusammenstellung zu. 
     Die Erfolgsaussichten werden durch Mängel der Projektbeschreibungen geschmälert. So fehlen vielfach Angaben zu Kosten, Terminen und zur Zahl der neuen Arbeitsplätze, die geschaffen werden sollen. Es gelang nicht, Prioritäten zu setzen. Die "erste" Prorität wurde 16 Projekten zugeordnet. Die zehn Bürgermeister der kreisangehörigen Städte hätten es anders nicht zugelassen, versuchte Schnipper zu erklären. Nicht einmal Pojekte von kreisweiter Bedeutung wurden gekennzeichnet und besonders hervor gehoben. 
     Hätte man nicht wegen der Prioritäten die Emscher-Lippe-Agentur (ELA), die sich um die Wirtschaftsförderung für den Kreis Recklinghausen und die Städte Gelsenkirchen und Bottrop zu kümmern hat, frühzeitig - bereits für das Gutachten ZIRE, anstelle des ortsfemden Beraters  - einschalten müssen?. Die ELA wird ihr Konzept für die Zukunft der Wirtschaft in der Region am 31. Januar vorstellen. Dann ist der Zug aus Essen bereits abgefahren. Vergleicht man die von der ELA benannten Projekte mit den Listen des Kreises, dann fällt auf, dass einige Projekte, z.B. aus Marl, fehlen. 
     Glücklicherweise hatte die Stadt Marl bereits im Sommer 2001 erkannt, dass eine eigenständige Anmeldung ihrer Projekte in Essen notwendig ist. Andere Städte, z. B. Herten, haben sich ebenso wenig auf den Landrat und die ELA verlassen wollen. 
     Wer sonst, wenn nicht der Landrat hat die Aufgabe, die Interessen der Städte zusammen zu führen, auszugleichen und letztlich zu befriedigen, also Kirchturmdenken zu überwinden? Die ELA überblickt die Region, die Städte kennen die lokalen Details und der Kreis hat das Geld - das hätte doch der Landrat zum Nutzen aller "bündeln" können, anstatt nur die Wünsche der Städte hintereinander zu schreiben. Aber Hans-Jürgen Schnipper fehlte der politische Gestaltungswille. 
     Anfang März werden Entscheidungen über Mittelzuwendungen von rund 100 Millionen Euro fallen. Der Projekt Ruhr GmbH liegen viel mehr Projektanträge vor als bezuschusst werden können. Welches Projekt kommt in die Beschlussvorlage, welches erhält letztlich die Landesunterstützung? Selbstverständlich wird der Kreis Recklinghausen nicht leer ausgehen. Und selbstverständlich wird der Recklinghäuser Landrat seine Verdienste in rosigen Farben schildern. Ihm bleibt aber  nur, die VEW-Millionen den Städten zu geben, da diese die obligatorische kommunale Eigenbeteiligung nicht selbst aufbringen können. Damit könnte der Landrat doch noch einen Beitrag zur Strukturpolitik leisten. 

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Archiv

Berichte, Vorschläge und Meinungen zu kommunalpolitischen Themen 

07.01.03   Zum neuen Jahr - Zuversicht statt Schwarzmalerei
13.12.02   Schlenke am Ende - Zur Entscheidung des Rates
19.07.02   Das Elend mit den Moderatoren - Schlenke (2)
15.06.02   Mentaler Kohlenstaub  -  Zöpel in RE
20.03.02   Konfliktlösung  -  Schlenke-Siedler
Jan. 02     Poller für Polsum  -  C. P. Philippi
15.02.01   Trauriges Ende  -  Philharmonia Hungarica
22.08.00   Thesen zur regionalen Wirtschaftspolitik 



7. Januar 2003

Zum neuen Jahr

Zuversicht statt Schwarzmalerei

"Eine Mischung aus Hysterie, Pessimismus und Krisen-Demagogie ist über uns hereingebrochen. In Talkshows, in Zeitungskommentaren, an Stammtischen, selbst auf Wirtschaftskongressen kreisen die Gespräche nur noch um monströse Behauptungen. Deutschland, so heißt es, sei ein verwüstetes Land, pleite, unfähig zur Reform, verloren für die Zukunft. Bei diesem Diskurs werden von allen Seiten hemmungslos Superlative des Negativen verwendet: Niedergang, Untergang, Desaster, Lüge, Betrug – die öffentliche Rhetorik kennt keine Hemmschwellen mehr. " - Das schreibt der Zukunftsforscher Matthias Horx in seinem Anti-Jammer-Manifest zum Jahreswechsel 2002/2003. 

Auch in Marl breiten sich Schwarzmalerei und Pessimismus aus. Im Sumpf der Miesmacherei drohen konstruktive Ideen und kreative Ansätze unterzugehen. Wir riskieren auf diese Weise, dass die vitalen Kräfte des Wandels zerstört werden. 

Dagegen können und müssen sich die Bürger wehren. 

Die Parteien streiten, als sei dauernd Wahlkampf. Noch schlimmer wird es, wenn innerhalb von Parteien offene Rechnungen beglichen werden sollen, z. B. weil die Bürgermeisterin ihrer Partei nicht blindlings folgt. Dann werden Personalquerelen, die bis zum blanken Hass gehen, über Sachfragen gestellt. Es wird nur noch auf Halten gespielt, gegen jeden Vorschlag werden Bedenken erhoben, die besten Ansätze werden blockiert. Es ist leichter, die Projekte anderer zu verhindern, als eigene Vorhaben durchzusetzen. So blieben im Jahr 2002 die Westerweiterung des Chemieparks, die Umgestaltung der Stadtmitte und Schacht 8 mindestens vorläufig auf der Strecke. Die Bedenkenträger feierten diese zweifelhaften Erfolge. 

Es kann nicht alles so bleiben, wie es ist. Auch wenn es uns heute noch objektiv recht gut geht, ist Wandel erforderlich, denn Stillstand heißt Rückschritt. Die Bürger sind zukunftsfähig und reformwilliger, als mancher glaubt. Sie können die Wahrheit vertragen, wollen die Probleme erklärt bekommen und eine sinnvolle Perspektive erkennen. 

Die Arbeitslosigkeit in Marl ist viel zu hoch, aber im Einzelfall muss man sie vor dem Hintergrund eines ausreichend versorgenden Sozialsystems sehen. Bei der derzeitigen „Wirtschaftskrise“ handelt es sich um eine zyklische Wachstumsschwäche, wie sie mindestens einmal im Jahrzehnt vorkommt. Stagnationen oder Rezessionen haben in der Entwicklung der Wirtschaft positive Wirkungen. Sie sind nötig, um Innovationen anzuregen und unternehmerische Trägheiten abzubauen. 

Neben der Konjunkturschwäche leidet die Region unter Strukturproblemen. Es hilft aber nicht, nur die wirtschaftliche Schwierigkeiten zu beklagen und vorhandene Ängste zu verstärken. Wir leben in einer reichen Gesellschaft und befinden uns jetzt im epochalen Übergang von der Industriegesellschaft zur Wissensgesellschaft. Dieser Wandel verursacht Schmerzen und Verunsicherungen, eröffnet aber auch neue Chancen. Wenn wir uns auf alte Marler Traditionen der 60er und 70er Jahre besinnen, auf den Mut zu Innovationen und auf Freude am Gelingen, dann können und werden wir den Wandel bewältigen. 

Wir müssen unserer Jugend eine Zukunft geben. Damit die tüchtigen jungen Menschen in unserer Stadt bleiben, brauchen sie die bestmögliche Ausbildung, attraktive Arbeitsplätze in zukunftsfähigen Branchen, aber auch mehr Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung. Mit den in Marl vorhandenen Möglichkeiten kann man nicht zufrieden sein. Diese Unzufriedenheit sollte als Antiebsfeder verstanden werden. Die heutige junge Generation ist leistungsorientiert, sie erwartet nicht, dass sich der Wohlstand von allein einstellt. Aber sie darf erwarten, dass die Verantwortlichen sich ihrer Probleme ernsthaft annehmen. Das Jahr 2003, bevor in 2004 der Wahlkampf entbrennt, bietet den Parteien Gelegenheit, ihre Kompetenz zu entwickeln und darzustellen, dass sie Lösungen für Sachfragen finden, auch wenn es Kompromisse erfordert. 

Wir brauchen Optimismus und einen nüchternen, gleichwohl zuversichtlichen Umgang mit den derzeitigen Problemen. Wir brauchen Mitmacher, keine Miesmacher. Wir müssen heraus aus dem Jammertal, um die Zukunft zu gestalten. 


Freitag, der 13. Dezember 2002

Schlenke am Ende

Was bedeutet die Ratsentscheidung zur Westerweiterung?

Am 12. Dezember kassierte der Rat der Stadt Marl seine Zustimmung zur Westerweiterung des Chemieparks. Über die möglichen Ursachen und Folgen sollte man nachdenken:

Die Stadt Marl sieht ihre Zukunft nicht mehr als Industriestadt ?
Es ist schon erstaunlich, dass im Rat diese Einstellung vorherrscht. Zu wenige Ratsmitglieder sind in der Industrie tätig. Unter den Bürgern gibt es nach wie vor eine industriefreundliche Einstellung und viele  Beschäftigte im öffentlichen Dienst sowie Rentner, die über ihre eigene Befindlichkeit hinaus denken. Die Presse kümmert sich um die Belange der Schlenke-Siedler nur im Sinne derjenigen, die dort bleiben wollen. Der Lokalteil der Zeitungen tendiert naturgemäß zum Kirchturmdenken. Hier werden die Interessen einer kleinen Siedlung höher gestellt als die der wichtigsten Industrie der ganzen Region.

Es ging der CDU darum, der Bürgermeisterin ein Projekt zu zerstören.
Zusammen mit "Wir gegen Marl" kann man viel kaputt machen. Den Grünen kann man ihren Widerstand nicht übel nehmen. Sie haben ihre eigene klare Kante. Die Bürgerliste war früher gegen die Westerweiterung  wegen des Grundsatzes, dagegen zu stimmen, wenn CDU und SPD dafür sind. Jetzt unterstützte Fritz Dechert den CDU-Antrag, weil ihm keine Begründung für einen Positionswechsel einfiel. Der Taktierer verfing sich in den eigenen Fallstricken. Ob eine geheime Abstimmung  ein anderes Ergebnis erbracht hätte, bleibt spekulativ. Sicher wären auch aus der CDU Gegenstimmen gekommen.

Stadt und ChemSite haben versagt.
Seit dem Bekanntwerden im Juni 2001 hatte die Stadtverwaltung 18 Monate Zeit, den Umzug der Siedler zu organisieren. Zählt man erst vom Ratsbeschluss im Oktober 2001, dann waren es immer noch fast 14 Monate. Das Projekt ist äußerst schlampig gemanagt worden. Die SPD mahnte ab Februar 2002 in der Stadt, im Unterbezirk und im Kreistag Konzepte an, machte konstruktive Vorschläge und verlangte Zuschüsse aus dem VEW-Topf, während die Stadtverwaltung noch gar nichts tat. Erst im April/Mai wachte man auf, da die CDU ein erstes Ultimatum stellte. Am 15. Juli 2002 in der Staatskanzlei hätte man sich nicht über die Finanzierung der Moderatoren unterhalten dürfen, die man in der Region regeln musste, sondern mit einem Konzept über Kosten, Termine und Verfahrensschritte antreten müssen, um konkrete Zusagen vom Land zu bekommen. Man hatte noch nicht einmal ein Gespräch mit dem zuständigen Ministerium für Städtebau geführt. Bis heute sind die Kosten für das Einvernehmen der Schlenke-Siedler unklar. Bekannt sind nur deren Wunschvorstellungen.

Die Schlenke-Siedler haben einen Pyrrhus-Sieg errungen.
Also ein Eigentor geschossen. Ab Januar entfällt die Sozialbindung der Mietwohnungen, die Mieten steigen und es kann ohne Einvernehmen gekündigt werden. Jedenfalls sind die Träume von einer schönen Abfindung oder vom Neubau einer Schlenke-Siedlung II erst einmal oder für immer geplatzt. Da werden nicht alle glücklich sein. Werner Bergerhoff hat die Garantie des Einvernehmens leichtfertig aus der Hand gegeben.

Die Räumung der Siedlung wird erleichtert.
Gab es (zum Beispiel beim Land) die Überlegung, dass erst die überzogenen Erwartungen der Mieter gründlich beseitigt werden müssen? Sieben Millionen Euro wollten allein die Mieter. Zwei bis drei Millionen wären schon ein schöner Erfolg gewesen. Nun gibt es Auszüge, keine neuen Belegungen der Wohnungen und vielleicht Kündigungen durch den Vermieter. Wenn das einmal anläuft, denken auch die Eigentümer im Godenkamp darüber nach, was ihre Häuser wirklich wert sind. 


19. Juli 2002

Das Elend mit den Moderatoren

Moderatoren werden die Damen und Herren genannt, die mit den Bewohnern der Schlenke-Siedlung über ihren Umzug verhandeln sollen. Sie sollen das "Einvernehmen" erwirken, das der Rat der Stadt als Bedingung setzte, als er im Oktober 2001 beschloss, die Westerweiterung des Chemieparks zu ermöglichen. Vorausgegangen war ein Monate dauerndes Hickhack in der CDU und ein Machtkampf zwischen der Bürgermeisterin und dem CDU-Vorsitzenden.

Was hat die Stadt getan, um das Einvernehmen zu erreichen?  Bis zum März 2002 nichts. Dann erst griff man den Vorschlag der SPD auf, den Siedlern ein "großzügiges Angebot" zu machen. Tatsächlich lockerte sich die inzwischen eingetretene Konfrontation etwas, als der Baudezernent der Stadt verständnisvoll auf die Siedler zu ging und ihnen Alternativen für neue Heimstätten aufzeigte. Konkrete Zusagen, etwa in finanzieller Hinsicht konnte er nicht machen. Die Stadt dachte über eine Projekt-Gesellschaft nach, wollte auch einen Projektverantwortlichen benennen und versuchte, die Finanzierung zu sichern. Wieder war es zuerst die SPD, die im Kreistag den Antrag stellte, das Projekt wegen seiner kreisweiten Bedeutung auch mit Mitteln des Kreises zu unterstützen. Erst im Mai und Juni legte die Stadtverwaltung dem Kreis formelle Anträge vor.

Statt das Projekt unter Einschaltung von Fachleuten zu bearbeiten, suchte man ein Gespräch in der Staatskanzlei in Düsseldorf, das in großer und prominenter Besetzung am 15. Juli 2002 zu Stande kam. 13 Monate vorher (am 15. Juni 2001) war durch eine Indiskretion des Landrates bekannt geworden, was Land, Kreis, Stadt und die regionale Wirtschaftsförderungsgesellschaft ELA vorhaben. Neun Monate waren seit dem Ratsbeschluss vergangen. Konnte die Stadt ein Konzept, einen Terminplan und eine Kostenermittlung für diese wichtige industriepoltische Maßnahme in Düsseldorf vorlegen? Man wollte verbindliche Zusagen über die finanzielle Beteiligung des Landes mitnehmen. Wer sich über das Scheitern dieses Wunsches noch wundert, muss sich - bei unbestrittenem guten Willen - Naivität vorwerfen lassen.

Die WAZ berichtete über das Ergebnis der Besprechung: "Moderatoren klopfen bald in der Schlenke an". Bald? Gemach, zunächst wird eine Arbeitsgemeinschaft gebildet, an der auch die städtische Wohnungsbaugesellschaft Neuma beteiligt werden soll. Eine wirklich gute Idee, die schon im März in einem Leserbrief in der WAZ gestanden hatte (siehe hier unter "Konfliktlösung", 20.03.02). Die Neuma verfügt über tüchtige Mitarbeiterinnen, denen man Verhandlungsgeschick und die erforderlichen Fachkenntnisse bescheinigen kann. Moderatoren sollen ab September tätig werden. Vorher gibt es Ferien und Bundestagswahl. Es wird wohl mindestens Oktober werden, ehe es los geht. Man wird den Jahrestag des Ratsbeschlusses feiern, ohne dass man begonnen hat, das berühmte Einvernehmen mit den Bewohnern herbei zu führen.

Inzwischen hat man auch die Siedler sauer gefahren, die seit einem Jahr warten, dass ihnen die erwarteten großzügigen Angebote gemacht werden, um ihnen den Umzug schmackhaft zu machen. Denn es gibt in der Schlenke auch Mieter, die gerne umziehen würden.

PS. am 16.10.02
Inzwischen hat die Stadt eine Ausschreibung erstellt und Angebote eingeholt. Es wurde Herbst, die Blätter fielen, der Jahrestag der Entscheidung zum "Einvernehmen" konnte gefeiert werden, als der Rat der Stadt im Oktober 2002 die Zustimmung zum Auftrag an die Moderatoren erteilte. In der Sitzung stellte die CDU ein neues Ultimatum: Entweder ist alles klar bis zum Jahresende oder Schluss der Vorstellung "Das Elend mit den Moderatoren". Der Vorhang wird fallen. 


Zöpel in Recklinghausen

Mentaler Kohlenstaub wirbelt auf ...    15. Juni 2002

Christoph Zöpel, Staatsminister im Berliner Auswärtigen Amt, sprach am 14. Juni auf Einladung von Jochen Welt MdB im Festspielhaus Recklinghausen über die Zukunft des Ruhrgebietes. Aus seiner Zeit als Minister für Stadtentwicklung des Landes Nordrhein-Westfalen (1980 bis 1990) ist Zöpel als ein Mann mit innovativen Ideen bekannt und als Querdenker berüchtigt. Er kann und will es nicht lassen. 

Zöpel sieht das Ruhrgebiet als Global City und hält das enge Zusammenleben in der Ballungsregion für attraktiv. New York, früher ein Alptraum, heute wieder anziehend, empfiehlt er als Vorbild. Vieles hat sich im Ruhrgebiet in den letzten Jahrzehnten gebessert. Soziale und ökologische Probleme, früher die Hauptsorgen des Industriegebietes, sind weitgehend überwunden. Gab es früher weder Kasernen noch Verwaltungen oder Universitäten, so ist das Revier heute eine Region mit überdurchschnittlicher Dichte der höchsten Bildungseinrichtungen. Auch das kulturelle Angebot ist umfassend und bedeutend. 

Allerdings fehle dem Ruhrgebiet noch einiges: 
1.  Die Identität und die formale Klammer. Der KVR ist dafür zu schwach.
2.  Der Kopf. Das sei Düsseldorf als Schreibtisch des Reviers, meint Zöpel.
3.  Ein Repräsentant, der für 6 Millionen Einwohner die Stadtregion an der Ruhr international darstellen kann wie der Bürgermeister von New York es tut. 

Es komme ihm nicht auf die Verwaltungsstrukturen an, sagte Zöpel und vermied so, dass die anwesenden Kommunalpolitiker um ihre Einflussmöglichkeiten und Posten fürchten mussten. Nur eine einzige Aufgabe würden die Städte verlieren: die Zuständigkeit für Flächennutzungspläne. Aber KVR, Landschaftsverbände, die Kreise und der Verkehrsverbund Rhein-Ruhr würden nach Zöpels Vorstellungen überflüssig. Ihre Aufgaben sollte fast komplett der "Stadtverband Ruhr" übernehmen.

Aber beginnen müsse man mit thematischen Ansätzen. Als Schlüsselthema empfahl Zöpel die Kultur des Industriezeitalters, das heißt die darstellende und bildende Kunst sowie die Musik des ausgehenden 19. und des 20. Jahrhunderts. Eine Region definiere sich nicht über die Darstellung der gegenwärtigen Lebenswirklichkeit, sondern über ihre Geschichte, sagte Zöpel und verwies auf das Industriedenkmal Zeche Zollverein, das zum Weltkulturerbe erklärt wurde. Aus diesem Ansatz könne man die Vision einer neuen Zukunft entwickeln. 

Zur Diskussion um die Ruhrfestspiele und die Ruhr-Triennale meinte Zöpel, Festspiele gäbe es nur in der Provinz (Bayreuth, Bregenz, .. ), aber eine Global City sei fester Ort stetiger kultureller Veranstaltungen. Das Festspielhaus Recklinghausen solle die ständige Stätte des Schauspiels des Industriezeitalters werden und europäisches Niveau anstreben. 

    ... und legt sich wieder

In der Diskussion wurden Vorbehalte deutlich. Global City wird nicht als erstrebenswert gesehen, sondern erschreckt. Die Ruhrstadt würde zum Moloch, die Heimat gehe verloren, die vorhandene Kultur  würde leiden, die Identität käme abhanden. Sogar die Gefahr der Verslummung wurde gesehen. 

Ist Zöpel ein Spinner oder der einsame Rufer in der Wüste des Kohlenstaubes?
 


Großzügiges Angebot an die Schlenke-Siedler        20. März 2002

Konfliktlösung für die Westerweiterung

Der Rat der Stadt stritt lange um juristische Winkelzüge. Nicht alle erkannten, dass dabei nichts herauskommen wird außer Zeitverzug. Trotzdem kommt die Sache voran, denn die SPD hat einen 5-Punkte-Plan zur Umsiedlung der Schlenke-Bewohner vorgelegt. Hinter den nüchternen Worten verbirgt sich ein großzügiges Angebot, mit dem der aufgebrochene schwere Konflikt zwischen den Interessen der städtischen Wirtschaftsförderung und den Anwohnern des Chemieparks gelöst werden kann: 

Der Vorschlag, eine eigentumsorientierte Mietergenossenschaft zu gründen, kommt nämlich aus der Schlenke-Siedlung selbst. 

Solche Genossenschaften dienen bisher dem Erwerb früherer Werkswohnungen und werden vom NRW-Städtebauministerium unterstützt. Diejenigen Schlenke-Bewohner, die gern in der bisher gewohnten Nachbarschaft zusammen bleiben wollen, könnten mit wenig erhöhten Kosten gegenüber der bisherigen Miete Eigentum in einer neuen Siedlung erwerben. Dabei wird unterstellt, dass ein beachtlicher Teil der Kosten von der öffentlichen Hand getragen wird. Die Stadt stellt kostengünstig ein Grundstück zur Verfügung. Aus Mitteln des Landes und des Kreises kommen Zuschüsse zu den Baukosten. Die Neuma leistet organisatorische Hilfe. Hiermit würde den Siedlern ein Angebot gemacht, das viele nicht ablehnen werden. 

Aber auch wer am langfristigen Eigentumserwerb nicht interessiert ist, kommt nicht zu kurz. Den übrigen Mietern sollen nicht nur die Kosten für den Umzug und für Einbauten in ihrer bisherigen Wohnung ersetzt werden. Darüber hinaus muss die Differenz einer höheren neuen Miete gegenüber der bisherigen Miete für einen begrenzten Zeitraum übernommen und ein Schadensersatz für sonstige Aufwändungen gezahlt werden. Den Eigentümern und den Alten müssen ebenfalls Angebote nach Maß geschneidert werden. 

Eine überschlägliche Berechnung ergab, dass 8 bis 10 Millionen Euro für die Umsiedlung allein, ohne Abriss und Vorbereitung für die industrielle Nutzung, aufgewendet werden müssen. Die Stadtverwaltung wurde vom Rat aufgrund des SPD-Antrages beauftragt, ein Konzept für die Umsiedlung zu erarbeiten, die erforderlichen Kosten zu ermitteln und schnellstens formelle Anträge beim Land und beim Kreis vorzulegen. 

Schon jetzt sollten den Schlenke-Bewohnern die dargestellten Angebote zur individuellen Wahl vorgelegt werden. Das würde sofort den Konflikt entschärfen, da den Betroffenen erfreuliche Aussichten eröffnet werden, während sie bisher in Angst um ihre Zukunft lebten. Ein negativer Bürgerentscheid oder endlose juristische Auseinandersetzungen könnten damit vermieden werden. Nicht Rechtsanwälte sollten beschäftigt werden, sondern das Planungsamt der Stadt und Architekten, die Pläne für neue Heimstätten ausarbeiten. 


Poller für Polsum Januar 2002

Rechtsanwalt Claus-Peter Philippi ist Ratsherr der Stadt Marl und vertritt nachdrücklich die Interessen des Stadtteils Marl-Polsum, der von der Mehrzahl seiner Einwohner - nach wie vor der Eingemeindung im Jahre 1975 - als eigenständiges Dorf Polsum empfunden wird. 

Im Bauausschuss der Stadt Marl trug er ein Plädoyer für die Aufstellung von Pollern an einer Polsumer Straße vor, um das Parken auf dem Gehweg zu verhindern und um die Fußgänger, insbesondere Kinder, zu schützen. Es war so überzeugend, dass alle Ausschussmitglieder spontan zustimmten. Das positive Presseecho der nächsten Tage in den Lokalteilen der WAZ und der Marler Zeitung bestätigte Philippis Ruf eines erfolgreichen Kommunalpolitikers. 

Philippi ist auch Mitglied des Kreistages Recklinghausen und bekleidet das wichtige Amt des Vorsitzes im Ausschuss für Wirtschafts- und Strukturpolitik. Leider hat er dort für den Strukturwandel und die Förderung der Wirtschaft kaum Impulse gegeben. Dass er den Ausbau des Flugplatzes Loemühle nicht befürworten durfte, hat mit der Koalitionsdisziplin zu tun. Die Grünen verlangten von der CDU eine Haltung, die von einigen CDU-Kreistagsmitgliedern nicht geteilt wurde. Am 16. Mai 2001 legte der Landrat dem Wirtschaftsausschuss seine 66 Schwerpunkte für die Entwicklung der Wirtschaft im Kreis vor. Selbst dem Vorsitzenden des Ausschusses war die lange Liste nicht vorher bekannt. Das Werk war druckfrisch. Man sprach kurz einige Äußerlichkeiten an und vergaß das Thema. Auch nach der erneuten Vorlage einer nun verkürzten Projektliste im Oktober wurde nicht inhaltlich diskutiert, was niemand als Manko empfand. 

Poller für Polsum bringen mehr Aufmerksamkeit in der Presse.

PS.   Auf der Tagesordnung der Ausschuss-Sitzung vom  29. Mai 2002 standen auch die Entwicklungsschwerpunkte des Kreises und die Organisation der regionalen Wirtschaftsförderung. Die Presse fehlte, ebenso der Landrat, der den Sachstand selbst darstellen wollte. 

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Das traurige Ende eines Orchesters                      15. Februar 2001 

Für die Stadt Marl ist das Ende der Philharmonia Hungarica ein schmerzlicher Verlust. Dass das nicht alle Bürger der Stadt so sehen, muss man aber auch verstehen. 

Leider war das Orchester in der Marler Bevölkerung nicht ausreichend verankert. Der starke Besuch beim Abschiedskonzert am 4. Februar kann darüber nicht hinweg täuschen. Der Eintritt war ja frei. Man feierte einen etwas makabren Event. Das Publikum war nicht zu letzt von sich selbst begeistert. Am mangelnden Rückhalt der Marler Bürger war das Orchester nicht unschuldig. Warum fehlte auf Plakaten zu Konzerten in anderen Städten jeder Hinweis auf den Heimatort Marl? 

Man gab acht Abonnementskonzerte pro Saison in Marl. Dafür zahlte die Stadt jährlich 880 000 DM, für jedes Konzert 110 000 DM. Verteilt auf 800 Plätze im Theater Marl bedeutet das einen Zuschuss aus dem schmalen Stadtsäckel von etwa 140 DM für jeden Sitz, auch wenn er unbesetzt blieb. Bezieht man einerseits die anderen Aktivitäten des Orchesters mit ein und andererseits die Zahlungen von Bund (7 Millionen im Jahr) und Land, dann sieht man, dass die Subvention des einzelnen Platzes noch deutlich höher lag. Andere gute Orchester sind auch nicht billiger. Wir Deutschen sind Weltmeister in der staatlichen Kulturförderung. 

Dass sich der Bund angesichts der Kulturhoheit der Länder aus der Förderung seiner beiden Orchester in Marl und Bamberg zurück ziehen wollte, kann man nachvollziehen. Er hat das bereits 1995 gesagt und 5 Jahre Zeit gegeben. Weshalb die Fusionsbemühungen scheiterten, hat man der Öffentlichkeit nie wirklich erklärt. Ich meine, man hat zu hoch gepokert, weil man dachte, am Ende würde der Bund doch noch weiter zahlen. Das Land verwies zu Recht auf eine gut besetzte Orchesterlandschaft in der unmittelbaren Umgebung. Am Abend des ausgefallenen 5. Abonnementskonzertes (20. Januar) konnte man kaum 10 km vom Theater Marl entfernt im Recklinghäuser Festspielhaus die Neue Philharmonie Westfalen hören. Karten gab es noch an der Abendkasse. Die Frage, weshalb zeitgleich zwei hoch subventionierte Orchester in so geringem räumlichen Abstand spielen müssten, ist nicht leicht zu beantworten. 

Die vom Trägerverein zuletzt vorgeschlagene Lösung mit Sponsoren baute weiter auf der Hoffnung auf, der Bund würde weitere (fünf?) Jahre den größeren Teil der Lasten übernehmen und sich scheuen, für das Ende des Orchesters verantwortlich gemacht zu werden. 

Die Verantwortung muss der Trägerverein tragen. Er sträubt sich, kommt aber nicht davon los. Die Schatzmeister haben sich leise verabschiedet. Der Intendant geriet in die Gefahr der Konkursverschleppung. Den Schaden haben die Musiker, die nach Angabe des abgetretenen Schatzmeisters Dr. Kuhlmann auf eher 4 als 3 Millionen Mark Gehalt verzichtet haben, nach Angabe des abgetretenen Schatzmeisters Schulte-Kemper mit arbeitsgerichtlich durchgesetzten Forderungen aber zum Untergang des Schiffes wesentlich beigetragen haben. Wie auf der Titanic spielten die Musiker noch bis zum Schluss und kamen nicht rechtzeitig von Bord. 

Dem Trägerverein muss auch die völlig unverständliche Absage des 5. Abonnementskonzertes am 20. Januar angelastet werden. Wer meinte, es gäbe noch eine Chance zum Erhalt des Orchesters, der durfte die treuesten Anhänger nicht brüskieren. Einige der Musiker und die Stadtverwaltung haben das besser erkannt als der Intendant. Sie haben deshalb das Konzert am 4. Februar organisiert, das mit der Symphonie mit dem Paukenschlag von Haydn an die Ruhmestaten des Orchesters in den 70-er Jahren erinnerte. Der Konzertmeister und der Solocellist zeigten im Doppelkonzert von Brahms eindrucksvoll ihr großes Können. Das nunmehr historische Konzert endete mit der Achten von Dvorak, einem wuchtigen Finale. Es war schön und traurig zugleich.

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Thesen zur regionalen Wirtschaftspolitik 22. August 2000

These 1
Die wirtschaftliche Situation im nördlichen Ruhrgebiet ist schlechter, als wir es uns bisher eingestanden haben.

Die Probleme bei Bergbau, Chemie, Energie und ihren Zulieferern sind allen bekannt. Die Arbeitslosenzahlen unserer Region werden in absehbarer Zeit nicht sinken. 

These 2
Wir alle haben in der Vergangenheit zu sehr auf die Erhaltung der Wirtschaftsstrukturen unserer Region hin gearbeitet und den Menschen den Eindruck vermittelt, mit dieser Defensivhaltung die Probleme lösen zu können.

Wir haben enorme Anstrengungen zum Erhalt des Bergbaus unternommen. Chemie und Energie hatten große Rationalisierungsreserven. Diese hoch modernen Branchen werden auch zukünftig neue Anlagen mit weniger Arbeitskräften betreiben. Die Politik hat auf solche Entscheidungen keinen Einfluss. Wir sollten auch niemandem weis machen, wir könnten auf Entscheidungen der Geschäftsleitung einwirken, wenn es der Betriebsrat nicht schafft.
Wir als Politiker müssen zuerst erkennen, dass wir das Rad der wirtschaftlichen Entwicklung nicht anhalten können und das unseren Wählern auch sagen. Sonst erkennen die Menschen es selbst, und wir verlieren damit an Glaubwürdigkeit.

These 3
Das Bewusstsein der Menschen unserer Region ist noch von der Großindustrie geprägt. Es verändert sich aber. 

AV, Hüls und Hibernia mit ihren Nachfolgegesellschaften konnten eine starke Beziehung zwischen dem Unternehmen und den Mitarbeitern entwickeln. Wer dort einen Arbeitsplatz innehatte, blieb bis zur Rente. Emotionale Bindungen zum Unternehmen gehen seit einigen Jahren als Folge ständiger Umstrukturierungen verloren. Statt der bisherigen Geborgenheit stellt sich das Gefühl ständiger Gefährdung des Arbeitsplatzes ein. Wenn die Unternehmen die Interessen der Aktionäre höher stellen als die Interessen der Arbeitnehmer, müssen letztere ihre Zukunft im Unternehmen kritischer sehen und auch nach anderweitigen Chancen Ausschau halten.
Immerhin gilt im Bergbau noch die Zusage: Kein Bergmann wird ins Bergfreie fallen. Aber bei Zulieferern gehen noch einmal genauso viele Arbeitsplätze verloren. Die dort betroffenen Menschen haben keine solche Zusage. 

Schlussfolgerung
Wir müssen bei der Wirtschaftsförderung verstärkt auf die new economy setzen.

Nur im Dienstleistungsbereich werden per saldo in Zukunft neue Arbeitsplätze entstehen, vor allem für hoch qualifizierte Arbeitnehmer. Bildung ist das Megathema unserer Zeit, sagt MP Clement. Wir brauchen einen Anteil an dem im Bereich Informatik und Multimedia entstehenden Wachstum. Dazu muss die neue IT-Akademie, die im Koalitionsvertrag angekündigt ist, hier in unserer Region errichtet werden.
Wir sollten auch unsere Infrastruktur verbessern. Lasst uns U-Bahnen bauen. Damit können wir die Verkehrsinfrastruktur verbessern, die im Bereich Schiene und generell ÖPNV schwach ist, und wir können Menschen beschäftigen, die direkt oder bei Zulieferern im Bergbau tätig waren. Den Flugplatz Loemühle sollten wir, wenn er sich wirtschaftlich selbst tragen kann, erhalten. 

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