25. Januar 2004 - Jahresauftakt
des SPD-Ortsvereins Marl-Mitte
Joachim Poß in Marl
Zur Mitgliederversammlung mit Jubilarehrung
hatte der SPD-Ortsverein Marl-Mitte einen prominenten Gastredner gewonnen.
Joachim Poß, der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion,
erläuterte die Maßnahmen der Bundesregierung zum Erhalt der sozialen
Sicherungssysteme und erinnerte daran, dass eine lupenreine SPD-Politik wegen
der bekannten Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat nicht durchsetzbar war.
"Jochen" nahm erfreut zur Kenntnis, dass in den letzten 6 Wochen
drei neue SPD-Mitglieder in Marl-Mitte aufgenommen werden konnten. Austritte
gab es nicht. "Ich werde es dem Bundeskanzler sagen", versprach
Jochen.
Für 40jährige Mitgliedschaft wurde Karl-Heinz
Gottschalk geehrt, der Ortsvereinsvorsitzende Ernst Knopf für 25 Jahre.
Jochen überreichte die Urkunden und gratulierte ebenso wie der
Bürgermeisterkandidat der SPD Marl, Jens Vogel.
Jens versprach seinen vollen Einsatz im Wahlkampf,
um die CDU-Vorherrschaft in Marl im September 2004 zu beenden, und rief
den Ortsverein zum Wahlkampf auf.

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3. Januar 2004
Marls Mitte auf dem Tiefpunkt
Nach einem städtebaulichen Wettbewerb 1988/89 und gründlichen
Vorüberlegungen des Planungsamtes beschloss der Rat der Stadt in den 90er
Jahren einen "Rahmenplan für die Stadtmitte". Zu Beginn des Jahres
2004 ist die Bilanz ernüchternd. Unser Zentrum befindet sich auf einem
Tiefpunkt seiner kurzen Geschichte.
Noch immer verschandelt das ehemalige Möbelhaus Hein de Groot den Marler
Stern. Immerhin sind die Bauarbeiten für den neuen Busbahnhof im Gange und
werden bis Ende 2004 fertig gestellt. Das Entertainment-Center müsste nach
langem Hickhack, zu dem auch der Rat beigetragen hat, längst im Bau sein. Das
wirtschaftlich wichtige Großprojekt ist gescheitert. An der Stelle des alten
Busbahnhofs ist oder war der "Forumsplatz" geplant als der
städtebauliche Schwerpunkt im Herzen der Stadt. Wann kommt die Modernisierung
des S-Bahn-Haltepunktes Marl-Mitte? Pläne liegen seit Jahren vor. Nichts
geschieht. Alles in allem bietet sich in unserem Zentrum ein riesiger
Schandfleck dem Auge des auswärtigen Besuchers, der an Marls zentralem
Verkehrsknoten umsteigt und sich umsieht.
Das
"Forum" von Marl: Busplatte und altes Möbelhaus sind keine gute
Visitenkarte.
Vom gleichen Standort bietet sich beim Blick
nach rechts ein erfreulicheres Bild, s. u.
Marl ist l(i)ebenswert, so wird eine der Formeln im Wahlkampf lauten. Vor
30 Jahren, als ich nach Marl kam, mag sie gegolten haben. Eine moderne Stadt
baute sich ein neues Zentrum. Es ging vorwärts, auch wenn nicht alles gelang.
Heute hofft man nur noch auf die Beseitigung der schrecklichen Bauwerke
Busplatte, Möbelhaus, Bahnhof - wohl auch im neuen Jahr vergebens. Dagegen
wird der Goliath abgerissen, nicht wegen der schlechten Bausubstanz, sondern
wegen der Verwahrlosung im Eingangsbereich und des zunehmenden Leerstandes.
Damit vertreibt man mindestens 300 Bewohner des Zentrums, die man im Stern
als Käufer vermissen wird. Die Kosten übernimmt die Neuma als
"Instrument der städtischen Baupolitik".
Viele
Wohnungen auf kleinem Grund - die Hochhäuser, dazwischen auf den großen
Freiflächen viel Grün,
rechts der Goliath. Die Bewohner haben
einige exklusive Vorteile: kurze Wege zum Einkaufen und zu Bus
und Bahn sowie die gute Aussicht.
Was die im Herbst zu wählenden Politiker daraus machen, sollte aus ihren
Ankündigungen im Wahlkampf erkennbar sein. Vorsicht ist geboten mit
Blendwerk, das gelegentlich angeboten wird. Man kennt ja seine Pappenheimer.
Es reicht aber auch nicht aus, die katastophale Lage der städtischen Finanzen
kritisch zu beschreiben, nachdem man jahrelang schön gefärbt hat. Die
Verwaltung beschwindelte den Rat und gemeinsam beschlossen sie verlogene Haushalte.
Es kann kein Zufall sein, dass man Haushaltssicherungskonzept mit HSK
abkürzt. Die Langschrift ist zu offensichtlich irreführend. Kein anständiger
Haushalt kann immer neue Schulden machen, ohne alte abzuzahlen. Sicherung ist
reiner Hohn und ein Konzept hatte der Kämmerer nie.
Der Bürger merkt es ausgerechnet im Wahljahr. Es genügt nicht mehr,
Vorschläge und Initiativen zu fordern. Fragen kann jeder. Wer
Bürgermeister(in) bleiben, werden oder sie/ihn dirigieren will, sollte auch
eine Antwort wissen.
"Die Koryphäen haben keine Ideen" (Karin Knopf).
Auf dem Tiefpunkt angekommen, kann es nur noch aufwärts gehen. Der
wirtschaftliche Aufschwung wird in diesem Jahr einsetzen, leider nur begrenzt
in unserer Region, weil man den Strukturwandel verschlafen hat. Besserung ist
immer noch möglich, wenn man zunächst eine schonungslose Bestandsaufnahme
wagt.
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25. November 2003
Kraftwerk oder
Seifenblase?
Die gegenwärtige Diskussion um ein Steinkohlekraftwerk in Marl leidet
unter der Unkenntnis wichtiger Zusammenhänge und unter vorschnellen
Forderungen. Weder Infracor oder Degussa, noch DSK oder RAG werden ein
Kraftwerk bauen.
CO2-freies Kraftwerk, Verbrennung der Steinkohle, ohne dass dabei
Kohlendioxid entsteht, da sträuben sich vielen Bürgern der Chemiestadt Marl
die Haare - so ein Unsinn.
Richtig ist, dass seit Jahren in NRW mit Unterstützung von Bund und Land
über das "Kohlekraftwerk der Zukunft" nachgedacht wird. Das
Bundeswirtschaftsministerium hat längst Studien anfertigen lassen. Die
Vorplanungen fanden bei den Kraftwerksplanern von RWE, E.ON und Steag in
Essen bzw. Gelsenkirchen sowie beim Kesselbauer Babcock in Oberhausen und
beim Hersteller von Turbogeneratoren Siemens/ KWU in Mülheim statt. NRW ist das
Energieland gerade bei der Kohleverstromung. Die Emscher-Lippe-Region ist die
Energieregion Nr.1. Nirgendwo findet man mehr Steinkohlekraftwerke als hier,
zwischen Gelsenkirchen und Datteln.
Aber die Kohlekraftwerke sind in die Jahre gekommen. In absehbarer Zeit,
spätestens in 10 Jahren, muss mit dem Ersatz unwirtschaftlich gewordener
Altanlagen aus den 60er und 70er Jahren begonnen werden. Dazu kommt, dass für
die abzuschaltenden Kernkraftwerke neue Anlagen errichtet werden müssen. Mit
Windrädern und Sonnenenergie kann die Grund- und Mittellast nicht ersetzt
werden. Gegenwärtig reicht noch die Summe der vorhandenen Leistung, die in
den Monopolzeiten der Energiewirtschaft reichlich installiert wurde. Ein
modernes Braunkohlekraftwerk wurde von RWE jüngst in Niederaußem/ Rheinland
gebaut. Ein neues großes Gaskraftwerk wird in Kürze im begonnen.
Die heimische Steinkohle muss auch in Zukunft
sinnvoll eingesetzt werden. Dafür kommen nur Kraftwerke in Frage. Auf
dem Steinkohletag in Essen stellte jüngst die Steag das Konzept
CCEC-Kraftwerk mit "Druckkohlenstaubfeuerung" vor. Mit diesem
Konzept soll der Wirkungsgrad der Stromerzeugung erhöht und gleichzeitig die
CO2-Emission gemindert werden. Die übrigen Emissionen können weiter gesenkt
und die Wirtschaftlichkeit der Stromerzeugung weiter verbessert werden. Als
Basis dient der Gas- und Dampfturbinenprozess, der für die Erdgasverstromung
als Standard gilt und mit höchsten Wirkungsgraden arbeitet.
E.ON Engineering veranstaltete im Oktober Informationstage in
Gelsenkirchen und berichtete über "Anforderungen und
Lösungsmöglichkeiten für neue Kraftwerke mit innovativen
Betriebsmöglichkeiten bei maximalem Wirkungsgrad und kosten-günstiger
Struktur". Die Fachleute sind also am Ball.
Man sollte sich informieren, ehe man das
CO2-freie Kraftwerk fordert. Kohle verbrennen heißt nun mal CO2
erzeugen. Aber CO2 ist ein in der Atemluft ständig präsentes Gas, kein
giftiger Schadstoff. Wir Menschen produzieren es ebenfalls und atmen es aus.
Es entsteht bei "Verbrennungsvorgängen" in unseren Körperzellen.
Pflanzen brauchen es für die Photosynthese und geben Sauerstoff ab.
Wissenschaftler sind sich weitgehend einig, dass zu viel CO2 in der
Erdatmosphäre Schutzschichten beeinträchtigt, zu "Ozonlöchern"
führt und die Sonneneinstrahlung begünstigt. Es folgt daraus eine Erwärmung
und Klimaveränderung. Man sucht daher nach Möglichkeiten der CO2-Verminderung
bei der Verbrennung von Kohle.
Die Lösung lautet im Prinzip: Je weniger Kohle man verbrennen muss, um
eine bestimmte Menge an nutzbarer Energie zu erzeugen, desto weniger CO2
entsteht. Das heißt, die Verbrennung muss effizienter werden, der
Wirkungsgrad muss gesteigert werden. Dem dient die Druckkohlenstaubfeuerung
und der "Gas und Dampf"-Prozess (GuD) wie bei Gaskraftwerken
erprobt und bewährt.
Die radikale Lösung heißt CO2-Einschluss. Das entstehende Verbrennungsgas
wird tiefgekühlt, verflüssigt und in unterirdischen Tanks eingeschlossen.
Abgesehen davon, dass man nachfolgenden Generationen ein belastendes Erbe
hinterließe, ist auch gegenwärtig wenig Neigung zu solchen Ideen, denn man
benötigt reinen Sauerstoff zur Verbrennung. Dessen Herstellung und die
Tiefkühlung des Rauchgases verbrauchen einen Teil der erzeugten Energie, was
dem Wirkungsgrad und der Wirtschaftlichkeit gar nicht bekommt.
Die Folge: Ein solches Kraftwerk ist nicht konkurrenzfähig. Es wird
vermutlich nie gebaut werden. Allein die Forderung nach einem CO2-freien
Kraftwerk kann für die Kohleverstromung hinderlich bis tödlich werden.
Keinesfalls kommt diese Technik für ein "Referenzkraftwerk" in
Betracht. Damit ist ein Steinkohlekraftwerk neuester Technik mit höchstem
Wirkungsgrad und niedrigstem Schadstoffausstoß gemeint, das der öffentlichen
Stromversorgung dient und im In- und Ausland baugleiche oder bauähnliche
Nachfolger findet. So ein Kraftwerk kann aber nicht gleichzeitig auf die
speziellen Anforderungen der Energieversorgung des Marler Chemieparks
ausgerichtet werden. Der Chemiepark braucht neben Strom auch Wärme und
Prozessdampf. Das bedingt eine abweichende Auslegung der Hauptkomponenten
Dampferzeuger, Turbogenerator und Kühlkreislauf.
Mögliche Investoren und Betreiber für
ein modernes Steinkohlekraftwerk sind in erster Linie die Steag AG, Essen und
E.ON Kraftwerke AG, die in NRW über mehrere Standorte verfügen, an denen
Steinkohle verstromt wird. Gerade weil an diesen Standorten ältere Blöcke in
einigen Jahren stillgelegt werden müssen, eignen sie sich am besten für den
Neubau, weil alle Nebenanlagen weiter genutzt werden können: Kohlemischlager,
Aufbereitungsanlagen für Kesselspeisewasser und Kühlwasser, Netzeinspeisung
des erzeugten Stroms, Flugasche-Entsorgung, Gipslager oder sogar
Gipsverarbeitung, Labors, Betriebsgebäude usw. Wichtig sind auch die
eingespielten Belegschaften und die Erleichterung von Genehmigungsverfahren,
da die Flächennutzung nicht verändert wird.
Die von Steag in Betracht gezogenen Standorte sind Voerde, Walsum und
Herne. Steag-Chef Dr. Melchior sagte am 11. 11. 2003 in Essen auf dem
Steinkohletag: "Es kann einen dreistelligen Millionenbetrag kosten, wenn
man einen neuen Block zu früh baut. ... Die Differenz zwischen
kostendeckenden Preisen eines Neubaus und abgeschriebenen Anlagen lässt
erheblichen Spielraum für so genannte Retrofit-Maßnahmen, wozu wir uns bei
Steag grundsätzlich entschieden haben."
E.ON würde in Gelsenkirchen-Scholven oder Datteln bauen. Die Entscheidung
braucht erst in 5 Jahren zu fallen, wenn man vom Ersatzbedarf ausgeht. Zwei
Jahre brauchen die Genehmigungsverfahren und parallel dazu die
Ausführungsplanung. Bei einer Bauzeit von 3 bis 4 Jahren ist eine
Fertigstellung in 2013/14 möglich. Eher braucht man das neue Kraftwerk nicht.
Noch bis 2014 sind die ältesten Scholvener Blöcke B, C, D und E unter
Vertrag. Ein Neubau würde zu höheren Preisen liefern müssen und bekommt daher
erst in rund 10 Jahren eine Chance.
Ein weiterer wichtiger Hinderungsgrund für einen früheren Neubau sind die
noch nicht geklärten politischen Fragen des Emissionshandels, insbesondere
der Preis für die CO2-Zertifikate, die die Kohleverbrennung belasten werden.
Gas dagegen verbessert seine Wettbewerbsposition. Das europäische Recht für
den Handel mit Emissionszertifikaten ist in Arbeit. Die deutsche Umsetzung
ist kaum angedacht. Ein zu hoher Preis kann den Bau von Kohlekraftweken
weiter verzögern oder sogar verhindern. Bei etwa 15 € pro Tonne CO2
kommen die Kosten in den Bereich der Brennstoffkosten. (Die Verbrennung einer
Tonne Kohle produziert drei Tonnen CO2.) Es würden dann vorwiegend oder
ausschließlich Gaskraftwerke gebaut. Sicher ist ja auch nicht, ob im Jahre
2013 noch deutsche Steinkohle zu Weltmarktpreisen zur Verfügung steht, da die
Subventionen kürzlich nur bis 2012 beschlossen wurden.
Mit einer vorhandenen Zeche kann ein Kraftwerksstandort nicht mehr
begründet werden. Man vergegenwärtige sich nur, dass ein 2013 ans Netz
gehendes Kraftwerk bis mindestens 2043 betrieben werden soll.
Der Chemiepark Marl ist ein großer und
wichtiger potenzieller Kunde für Energielieferanten. In den vergangenen
Monopolzeiten der Energiewirtschaft bevorzugten die Chemischen Werke Hüls
bzw. die HÜLS AG die kostengünstigere Eigenversorgung. Die
Nachfolgegesellschaft Infracor wirbt: "Durch den Betrieb von drei
Industriekraftwerken innerhalb des Chemieparks Marl mit Anschluss an das
öffentliche Netz können wir Ihnen ein nahezu konkurrenzloses
Preis-Leistungs-Verhältnis bei der Energieversorgung anbieten. So erfolgt
beispielsweise die Dampf- und Stromerzeugung mittels effizienter Kraft-Wärme-Kopplung.
Darüber hinaus bieten die Kraftwerksblöcke die Möglichkeit, Abfälle aus ihrer
Produktion thermisch zu verwerten."
Wenn die am Standort Chemiepark vorhandene Energie-Erzeugung altersbedingt
ersetzt werden muss, ist es sicher zweckmäßig, auch weiterhin die Energien
Wärme, Kälte, Prozessdampf und Druckluft vor Ort zu produzieren, um
Leitungsverluste gering zu halten. Beim Strom stellt sich der Wettbewerb
völlig verändert dar. Die Erzeugung elektrischer Energie gehört nicht zu den
Kernkompetenzen der Infracor. Sie will die Versorgung zu günstigsten
Bedingungen sicher stellen, muss aber nicht mehr selbst produzieren. Die Lage
am Markt ermöglicht den preisgünstigen Einkauf.
Eine Alternative ist ein langfristiger Liefervertrag für alle Energien,
die Infracor dann weiter verteilt, mit einem Kraftwerksbetreiber, z. B.
Steag. Steag investiert und betreibt, liefert die Energien an Infracor zur
Weiterleitung. Um ein Kraftwerk an diese Anforderungen anzupassen, wäre eine
spezielle Auslegung aller Hauptkomponenten notwendig: Dampferzeuger (Kessel),
Turbogenerator, Kühlkreislauf einschließlich Kühlturm usw. Darüber hinaus
müsste, um einen wirtschaftlichen Betrieb zu ermöglichen, ein Liefervertrag
zur öffentlichen Versorgung abgeschlossen werden. VKR (heute E.ON Kraftwerke
und Engineering) hat mit dem Kraftwerk Schkopau einschlägige Erfahrungen
gesammelt. Die Probleme waren schwierig, aber lösbar.
Ein solches Kraftwerk wäre eine Sonderanfertigung, kein
Referenzkraftwerk.
Zusammengefasst: Niemand in der
Energiewirtschaft zieht Marl in Betracht als Standort für ein
Steinkohle-Referenzkraftwerk.
Merkwürdig verquer läuft die politische Diskussion. Im "Düsseldorfer
Signal" der NRW-Landesregierung vom Juni 2003 wird ein CO2-freies
Steinkohle-Kraftwerk versprochen. Sie wissen nicht, was sie schreiben. Die
Aussage hat man sich von einem Industrieboss mit großen politischen
Erfahrungen bestätigen lassen. Von der Technik versteht er offenbar nichts.
Der zuständige Landesminister erwartet den Baubeginn eines Steinkohlekraftwerkes
etwa in 2005, nicht CO2-frei, aber mit 25 % geringerem CO2-Ausstoß gegenüber
zu ersetzenden Altanlagen. Eine Subventionierung der Baukosten schließt die
Landesregierung glaubwürdig aus.
Der Chef der Staatskanzlei meint, das RWE würde sich bald für einen Neubau
entscheiden. Unter rein marktwirtschaftlichen Bedingungen ist der frühe
Neubau eines Steinkohle-Kraftwerkes reines Wunschdenken. Klar, dass die
Landesregierung gerne eine Grundsteinlegung vor der Wahl 2005 sähe. Das wird
aber nichts werden, leider.
In Marl diskutieren lokale Politiker einen Kraftwerksneubau nur, weil sie
glauben, dass es ihrem Image dient. Mit Fakten ist es nicht unterfüttert. Die
CDU will ihre industriefeindliche Haltung zur Westerweiterung vergessen
machen. Die SPD will beim Thema Kohle keinesfalls in die zweite Reihe rücken.
Sie wollen diesen süßen Traum.
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Jubilare
2003
Die Mitglieder des SPD-Ortsvereins
Marl-Mitte versammelten sich am Sonntag, den 26. Januar 2003 zum
Jahresauftakt und zur Jubilarehrung im Parkhotel "Golden Tulip".
Christel und Hans Zech konnten ihre 50-jährige Mitgliedschaft feiern. Unser
Werbeobmann Dietrich Böhmer ist seit 40 Jahren Mitglied der SPD, Alois Stephan seit 25 Jahren. Jochen Welt MdB
sprach als Ehrengast die Glückwünsche aus.

Die Jubilare Dietrich Böhmer und Alois Stephan mit Jochen Welt
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30. November 2002
Der
Leitwolf bleibt und beißt
Die CDU Marl bekämpft
jetzt offen die eigene Bürgermeisterin
Am 26. November 2002 schrieb die Marler Lokalpresse "Schulte-Kemper
gibt die politischen Ämter auf" und "HSK kündigt Rückzug an".
Einen Moment lang dachte mancher, man müsse einen politischen Nachruf auf
einen der einflussreichsten Lokalpolitiker des nördlichen Ruhrgebietes
verfassen.
Aber Hubert Schulte-Kemper, der Vorsitzende der Marler CDU und der
Ratsfraktion, wird der Politik erhalten bleiben. Er wird sich weder
zurückziehen noch alle politischen Ämter aufgeben. Er bleibt in der Fraktion
und im Parteivorstand, denn die CDU kommt ohne ihn nicht aus. Er behält den
Vorsitz im Aufsichtsrat der Vestischen Straßenbahnen, den Vorsitz im
Aufsichtsrat der Neuen Marler Baugesellschaft sowie den Vorsitz im
Ratsausschuss für die Paracelsus-Klinik. Dazu strebt er den Vorsitz im
Immobilienausschuss der Stadt an. Jeder in Marl weiß, wie er die
verschiedenen Vorsitze politisch und für seine Öffentlichkeitsarbeit
nutzt.
Wenn er den Fraktionsvorsitz im März 2003 an Günter Zöllner abgibt, so
wird dieser gewiss ein treuer Erfüllungsgehilfe sein. Dann darf wohl
Anneliese Scheffler den Parteivorsitz übernehmen und den Kurs fahren, den man
ihr vorgibt. Schulte-Kemper entlastet sich von der Rolle des Bösewichts
im Rat, die er seit langer Zeit spielte, und ebenso von der Notwendigkeit,
die Partei intern zu streicheln. Dafür hat er treue Helfer. Die
Entscheidungen über den Kurs der Partei und die wichtigen Personalfragen, wie
Kandidaturen für Wahlen, trifft weiterhin der Große Vorsitzende. (Nachtrag:
Fraktionsvorsitzender wurde K.-H. Dargel, den Parteivorsitz behielt HSK.)
Wozu das ganze? Er wolle der Diskussion um "die böse CDU und die
liebe Bürgermeisterin ein Ende bereiten" und "der Bevölkerung den
wahren Sachverhalt schildern". Der Kern seiner Botschaft ist der
endgültige Bruch mit Uta Heinrich, der Bürgermeisterin der Stadt Marl seit
Herbst 1999, deren Kandidatur er selbst lanciert hat. Das sei ein großer
Fehler gewesen, sagt Schulte-Kemper, denn so etwas von Undankbarkeit hat er
noch nie erlebt. Kaum im Amt zeigt sie, dass sie einen eigenen Kopf hat, und
zwar einen recht harten Dickkopf.
Der Spaziergang in
Frentrop
Nach zwei Jahren, im Sommer 2001, hatte HSK die Faxen dicke. Ein Parteitag
zum Hinauswurf war schon vorbereitet. Da zuckte HSK noch einmal zurück. Frau
Heinrich hatte im Wahlkampf und im Amt Sympathien gewonnen, wie sie der CDU
und ihren führenden Repräsentaten in Marl noch nie zu Teil geworden waren.
Daher rieten strategisch denkende, weise Parteifreunde von einer Trennung im
Affekt ab. In dem berühmt gewordenen Frentroper Spaziergang arrangierten sich
die Hauptfiguren der Partei noch ein letztes Mal. In zwei für Frau Heinrich
wichtigen Fragen gab Schulte-Kemper nach. Er stimmte nun im Rat für die
Westerweiterung des Chemieparks und für den von der Bürgermeisterin
favorisierten Wirtschaftsförderer.
Bald zeigte sich, dass eine vertrauensvolle Zusammenarbeit unmöglich war.
HSK hatte die Fraktion auf seiner Seite, nachdem die letzten Abweichler
unterjocht oder ausgeschieden waren. Frau Heinrich hatte keine Abwehrchance,
sie konnte niemandem eine Kandidatur zum nächsten Rat versprechen oder
verweigern. Wenn sie in die Fraktion kam, wurde sie wüsten Beschimpfungen
ausgesetzt, wobei ihr immer wieder vorgeworfen wurde, zu spät oder
unvollständig über laufende Geschäftsvorgänge im Rathaus zu berichten. Sie
wollte vermeiden, diese Dinge kurz darauf in der Zeitung zu lesen. HSK ist ja
dafür bekannt, dass er gerne die guten Nachrichten selbst verkündet.
Schlechte Nachrichten verpackt er in strenge Vorwürfe, denn im Grunde hält er
das Rathauspersonal komplett für inkompetent. Ab Jahresmitte 2002 ersparte
sich die Bürgermeisterin die Anwürfe der Fraktion durch Fernbleiben. In der
Fraktion staute sich der Ärger höher, aber das normale Parteimitglied wollte
immer noch beide Protagonisten gemeinsam handeln sehen.
SIE oder ER ?
Das Problem konnte HSK nur lösen, indem er den Konflikt auf die Frage
"sie oder er?" zuspitzte. Er musste seinen Rückzug ankündigen oder
androhen. Die Mitglieder der Partei konnten dieses Dilemma schnell lösen. Er
ist seit mehr als 20 Jahren die treibende Kraft der CDU, der Ideengeber, der
unermüdliche Kämpfer, Motor und Kopf der Partei, eben der Große Vorsitzende.
Sie dagegen kam als Seiteneinsteigerin erst aus Anlass ihrer Kandidatur in
die Partei und hat keinerlei Hausmacht. Nach der Zuspitzung hatte
Schulte-Kemper sofort gewonnen. Er ist unersetzlich. Sie schmückte die Partei
im Wahlkampf, jetzt ist sie entbehrlich.
Gemeinsam versagt
Nachdem die CDU jegliche Zusammenarbeit mit ihrer Bürgermeisterin
aufgekündigt hat, wird zum Schaden der Stadt die politische Arbeit im Rat und
in der Stadtverwaltung erheblich erschwert. Zu den Grabenkämpfen tragen die
beiden CDU-Beigeordneten, die HSK für ihre Wahl oder Wiederwahl Dank
schulden, wesentlich bei. Es wäre ein Wunder, wenn unter solchen Umständen
erfolgreiche Politik gemacht würde. Weder in den städtischen Finanzen noch in
der Wirtschaftsförderung oder in der Stadtentwicklung wurden die Fortschritte
erzielt, die im Wahlkampf 1999 versprochen wurden.
Im Gegenteil. Die Stadt reduziert Leistungen für die Bürgerinnen und Bürger.
Hallenbad und Schacht 8 wurden geschlossen. Der Schuldenstand steigt trotzdem
weiter. Es gibt nicht einmal einen genehmigungsfähigen Haushalt. Die Stadt
ist damit handlungsunfähig. Auch bei den geoßen Vorhaben der
Wirtschaftsförderung, in der Stadtentwicklung und bei allem, was Kinder
und Jugendliche betrifft, fehlen jegliche Erfolge. Der Busbahnhof wird in
absehbarer Zeit nicht gebaut. Das Entertainment-Center ist in der geplanten
Form geplatzt, jedenfalls kommt kein Multiplex-Kino in die Stadtmitte. Der
Umbau der südlichen Bergstraße stockt. In den zentralen Punkten ist die
Politik der Bürgermeisterin und der CDU vollständig gescheitert.
Der Hintergrund ist
Wahlstrategie
Natürlich verweist Schulte-Kemper nicht zu Unrecht auf die Tatsache, dass
die städtischen Schulden seit den 90er Jahren wachsen und das konjunkturelle
Umfeld und die Steuerpolitik von Land und Bund nicht dem Stadtkämmerer
vorzuwerfen sind. Aber will sich der Wähler im Jahre 2004 solch komplizierte
Zusammenhänge erklären lassen? Und die Investitionen in der Stadtmitte, die
wieder fraglich geworden sind, hat die CDU immer skeptisch gesehen, denn die
Planungen stammen aus der Amtszeit des Bürgermeisters Fliedner (SPD). Auch
die Westerweiterung des Chemieparks ist zweifelhaft geworden, weil die
Umsiedlung der Bewohner "In der Schlenke" auf finanzielle Probleme
stößt. Es ist doch besser, sich von jeglicher Haftung frei zu machen. Deshalb
beschloss Hubert Schulte-Kemper, die Schuld für das gemeinsame Versagen
ausschließlich der Bürgermeisterin zuzuschieben. Die CDU will befreit von
jeglicher Verantwortung in den nächsten Wahlkampf gehen.
Alpha-Tier, Narziss und
Sensibelchen
In keinem Umfeld gibt sich Hubert Schulte-Kemper mit einem Platz in der zweiten
Reihe zufrieden. Er ist beruflich Chef einer Hypothekenbank, in seinem Hobby
- der klassischen Musik - natürlich auch vorn dran als Vorsitzender eines
Fördervereins für Klassische Musik, als Vorsitzender des Freundeskreises für
Musik und Kunst und als Vorsitzender des "Europäischen Klassik Festivals
Ruhr." - Das ist schon beeindruckend. Überall tut er etwas und teilt es
öffentlich mit. Alle Aktivitäten aufzulisten, ist kaum möglich. Der
Heimatverein sei noch erwähnt. Und er schafft es, das alles mit seiner
verantwortungsvollen beruflichen Aufgabe zu vereinbaren und zu verbinden,
indem er Kontakte und Ressourcen nutzt.
Der große Blonde ist überall der Leitwolf. Wenn ihm jemand sein Revier
streitig macht, beißt er. Wer hat ihm je so deutlich Grenzen aufgezeigt, wie
die Marler Bürgermeisterin. Bisher hat er alle Kämpfe gewonnen, es waren
viele seit er den Bauernhof in Klein-Herne verließ. Er kämpft mit harten
Bandagen und mit dröhnender, schneidender Stimme. "Sehen Sie, wie weit
ich gekommen bin, da kann ich doch nicht alles falsch gemacht haben"
sagt er dazu. Seine Selbstzufriedenheit geht bis zur Bewunderung des eigenen
Spiegelbildes und erinnert an Narkissos aus der griechischen Mythologie. So
gern HSK andere hart angreift, so wenig verträgt er Angriffe anderer und
reagiert empört. Er ist leicht reizbar. Für ihn selbst ist das ein
Zeichen von Sensibilität.
Die zierliche Frau im Marler Rathaus ist aus härterem Holz
geschnitzt.
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Beobachtungen
im Kreishaus Recklinghausen
Januar 2002
Der Landrat:
ratlos
Der
Zukunftsinvestitionsfonds
Das
Thema der Jahre 2000 und 2001 war die wirtschaftliche Zukunft unserer Region,
die durch die Großindustrie geprägt ist, aber in den Branchen Bergbau und
Chemie schwer wiegende Probleme bekommen hat. Monatlich bis zu 1000
Arbeitsplätze gingen in der Emscher-Lippe-Region verloren. Es war daher
richtig und fand auch die Zustimmung der SPD, dass im Jahr 2000 der Kreistag
den Verkauf seiner VEW-Aktien beschloss, um die Erlöse von rund 74 Millionen
DM für Zukunftsinvestitionen einzusetzen. Das Geld sollte für Projekte
verwendet werden, die dem Strukturwandel dienen und dauerhaft Arbeitsplätze
schaffen. Schon im September 2000 schlug die SPD-Fraktion dem Kreistag zwei
Projekte mit kreisweiter Bedeutung vor, die die zukunftsträchtigen
Informations- und Telekommunikationstechnologien voran bringen sollten: eine
Akademie für Informatik und eine Multimedia-Initiative. Beiden Anträgen
stimmte der Kreistag mit großer Mehrheit zu. Jedoch weigerte sich die
schwarz-grüne Mehrheit, der Akademie eine Anschubfinanzierung aus den VEW-
Erlösen zu gewähren. Man wollte eigene Projekte fördern, hatte aber keine
Ideen.
Ein
Gut(?)achten ...
Deshalb
holte der Landrat ein Gutachten über "Zukunftsinvestitionen für den
Kreis Recklinghausen (ZIRE)" ein, das im Februar 2001 vorlag.
Grundgedanke war, die Aktienerlöse in der Art einer Stiftung zu verwalten und
revolvierend zu vergeben. Die Zuschüsse zu Projekten sollten also nur als
Darlehen ausgereicht und zurück gezahlt werden. Für die Mittelverwendung
wurden im Gutachten viele Bereiche angesprochen und wenige ausgelassen. Es
wäre aber nützlicher gewesen, Schwerpunkte zu setzen oder konkrete,
förderungswürdige Projekte zu benennen.
Einen
wesentlichen Teil des Gutachtens bildeten die Ausführungen über die
Wirtschaftsstrukturen des Kreises, die dem Landrat inzwischen bekannt gewesen
sein sollten. Ebenfalls ausführlich wurden neu zu schaffende Organisationen behandelt,
eine ZIRE Agentur GmbH als Gesellschaft zur Wirtschaftsförderung und eine
ZIRE VC-Fonds GmbH zur Verwaltung und Verteilung des Vermögens. Beiden
Gesellschaften wäre wegen des revolvierenden Charakters des Fonds ein
dauerhaftes Wirken gesichert gewesen. (Waren das die zu schaffenden
Arbeitsplätze?)
Die
schnelle positive Reaktion des Landrates und der CDU-Kreistagsfraktion ließen
vermuten, dass das Ergebnis so gewünscht war. Beide Gesellschaften hätten
fachlich gut qualifiziertes Personal und einen Beirat benötigt. Sie hätten
Verwaltungskosten bis zu einer Größenordnung von 1 Million DM jährlich
verursacht sowie Pfründe für einige Kreispolitiker geschaffen. Ideen für
Projekte gab es immer noch nicht. Im Rückblick erkennt man, dass sich der
Landrat gar nicht in der Pflicht sah, Projekte zu entwickeln oder von den
Städten entwickeln zu lassen. Er wollte es der geplanten Agentur GmbH
überlassen. Das hätte aber bedeutet, dass im Jahr 2001 noch kein einziges
Projekt zu Stande gekommen wäre.
... für den
Papierkorb
Aus den
Städten Haltern, Dorsten und Marl wurde eine unmittelbare Verwendung der
VEW-Aktienerlöse zur Sanierung aller Schulen der Städte und des Kreises
vorgeschlagen. Mit Landeszuschüssen entstünde ein Investitionsvolumen von
rund 150 Millionen DM. Damit erhielten insbesondere das Baugewerbe und das
Handwerk einen Auftragsschub. Für etwa drei Jahre würden in diesen Branchen
auch Arbeitsplätze geschaffen oder gesichert.
Dieser
kurzfristig wirksame Vorschlag war immerhin besser als der des Gutachters.
Mittel- bis langfristige Wirkungen, die auf den notwendigen Strukturwandel
abzielen, hätte man damit natürlich nicht erreicht. Aber die Städte hatten
eigene Ansprüche auf die VEW-Aktienerlöse angemeldet. Das blieb ein heißes
Thema im gesamten Jahr 2001. Die Finanznot der Städte, die unter ihren
Haushaltssicherungszwängen ächzen, konnte vom Kreis nicht einfach ignoriert
werden. Daher beschloss der Kreistag, 20 Millionen DM den Städten zum Zweck
der Schulsanierung auszuschütten.
Für die
ZIRE-Gesellschaften blieben 54 Millionen, aber ihre Gründung verzögerte sich
aus juristischen Gründen. Schließlich wurde im Sommer 2001 mitgeteilt,
dass das Modell des Gutachtens nicht realisierbar war. Das rund 300.000 DM
teure Papier verschwand im Papierkorb.
Der Landrat
gegen die Bürgermeister
Die
Millionen lagen im Herbst 2001 seit einem Jahr beim Landrat auf der hohen
Kante. Dem Strukturwandel dienten sie dort nicht. Der Landrat wusste immer
noch nichts mit dem Geld anzufangen. Ganz anders die Städte. Sie verlangten
eine Verteilung nach dem üblichen Schlüssel. Noch einmal gab der Landrat
teilweise nach. Er schlug am 29. Oktober dem Kreistag vor, 40 Millionen DM
gemäß dem Verteilungsschlüssel den Städten zu geben, wenn sie für konkrete,
beschäftigungswirksame Projekte eine Restfinanzierung benötigen. Die
Verteilung wurde an bürokratische Erfordernisse gebunden. Die Städte müssen
für ihre Vorhaben zunächst alle anderen Quellen ausschöpfen, dann Anträge
stellen und schließlich auf die Entscheidung einer Vergabekommission des
Kreistages hoffen.
Schnipper
wollte für kreisweite Aufgaben 14 Millionen DM behalten. Dem widersprach die
SPD im Kreistag mit ihrer Forderung, das ganze Geld direkt an die Städte
auszuzahlen. In der Diskussion machte Karl-Heinz Rusche (SPD) aus
Oer-Erkenschwick deutlich, dass die Planungshoheit ohnehin bei den Städten
liegt, und dort gehöre dann auch das Geld hin. Obwohl sich bei der geheimen
Abstimmung Risse in der christlich-grünen Front zeigten, wurde der Antrag
mit 33 zu 35 Stimmen abgelehnt.
Das war
kein guter Tag für die Städte des Kreises Recklinghausen.
Der Landrat
ist ratlos
Entlarvend für die Ratlosigkeit des Landrates ist die Auflistung der Zwecke, denen
die 14 Millionen DM dienen sollen. In seiner Beschlussvorlage hieß es
wörtlich:
"Als Beispiele nicht
standortgebundener Themenentwicklungen mögen gelten:
- Mitgliedschaft im
Olympia-Zweckverband
- Flächenpool für
Ausgleich und Ersatz
- Beteiligung an der
NewPark-Gesellschaft
- Ausbildungsförderung
und Existenzgründungsberatung
- Themenentwicklung
"Vernetzter Tourismus" einschließlich Mitgliedschaft in der
Ruhrgebiet Tourismus GmbH & Co KG
- Beteiligung ELA
- Aktion "Pro
Mittelstand" einschl. "Regionales Genehmigungsmanagement"
- Mitgliedschaft
PPP-Gesellschaft "Digitales Ruhrgebiet", vornehmlich
e-government-Entwicklung" (Zitat Ende)
Der
SPD-Unterbezirksvorsitzende Jochen Welt MdB warf die Frage auf, ob hier gegen
das Haushaltsprinzip von Klarheit und Wahrheit verstoßen wird. Darüber hinaus
wird die vom Kreistag beschlossene Zweckbindung unterlaufen. Mit Ausnahme der
Beteiligung an der NewPark-Gesellschaft ist keine reale Zukunftsinvestition
zu erkennen. Die Mitgliedschaft im Olympia-Zweckverband, für die fast 500.000
DM bereit gestellt werden, die mit einiger Wahrscheinlichkeit nichts bringen
werden, ist wenigstens noch eine konkrete Maßnahme. Alles weitere in der
Auflistung gehört in den Verwaltungshaushalt des Kreises und ist unter der
Überschrift "Zukunftsinvestition" eine Dokumentation des
Unvermögens.
Man muss
auf Zukunftstechnologien setzen und darf den Zukunftsinvestitionsfonds, der
seinen Namen nicht zufällig trägt, weder langfristig festlegen noch
kurzfristig verfrühstücken.
Das Land will
helfen
Ministerpräsident Wolfgang Clement erklärte in den Monaten vor wie nach
seiner Wiederwahl (Mai 2000) unermüdlich, dass er entschlossen ist, dem
Ruhrgebiet alle denkbaren Hilfen zu gewähren, um die wirtschaftliche
Entwicklung und den Strukturwandel voran zu treiben. Bei seinen Reden im
nördlichen Ruhrgebiet verwies er immer wieder auf den Umstand, dass die
besonderen Hilfen der Europäischen Union für Ziel-2-Gebiete nur noch bis 2006
zur Verfügung stehen. Dafür maßgeschneiderte Projekte müssten aber aus der
Region selbst vorgeschlagen werden. Die Landesregierung gründete die Projekt
Ruhr GmbH, um unabhängig von der manchmal etwas schwerfälligen
Ministerialbürokratie schnelle und wirksame Hilfe zu leisten.
Als
Transmissionsriemen für die guten Absichten des Landes mit Zielrichtung auf
die kommunale Ebene wurde ein Innovationsbeirat eingerichtet. Für den Kreis
Recklinghausen gehört diesem Gremium nur Landrat Hans-Jürgen Schnipper an. Es
gibt Anlass zur Vermutung, dass der Landrat nur zum Kaffeetrinken den
Sitzungen beiwohnte (oder bevorzugt er Tee?). Eine Vermittlung von
Erkenntnissen oder Einsichten aus diesem äußerst wichtigen Gremium an die
Städte gab es jedenfalls nicht.
Entwicklungsschwerpunkte
des Kreises Recklinghausen
Ohne
jede Vorwarnung, plötzlich und unerwartet machte am 28. April 2001 ein
Mitarbeiter des Landrates die Wirtschaftsförderer in den kreisangehörigen
Städten mobil. Nicht mehr als zehn Arbeitstage wurde ihnen Zeit gegeben, um
Projekte der Städte beim Kreis anzumelden, die der Landrat gesammelt an die
Projekt Ruhr GmbH in Essen weiterleiten wollte. Die Eile war wirklich
geboten, denn bis Mitte Juni wollten die Essener ihrem Aufsichtsrat, der
nahezu identisch ist mit dem Landeskabinett, fundierte Empfehlungen für
unterstützungswürdige Projekte vortragen. Man fragt sich, wann der Landrat zu
diesem Geistesblitz kam. Aus Dortmund und Oberhausen waren spektakuläre
Projekte, für die die Projekt Ruhr GmbH ihre Befürwortung signalisierte, längst
in der Presse dargestellt worden.
Am 15. Mai 2001 präsentierte der Landrat in einer Sitzung des
Wirtschaftsausschusses des Kreistages stolz seine 66
"Entwicklungsschwerpunkte für den Kreis Recklinghausen" in Form
einer gut gestalteten Broschüre, die auch farbige Illustrationen und Pläne
enthielt. Die schöne Verpackung enthielt recht kärgliches Gedankengut. Auch
wenn man nicht den Maßstab eines Naturwissenschaftlers anlegt, macht allein
schon die Zahl von 66 "Schwerpunkten" klar, dass der Landrat die
Aufgabe nicht begriffen hatte.
Projekte
für einen Stadtteil im Wert von 30.000 DM und ähnliche Micky-Mouse-Vorhaben
dem Ministerpräsidenten als Entwicklungsschwerpunkte vorzuschlagen, konnte
nur als große Peinlichkeit empfunden werden. Andererseits enthielt die
Broschüre auch die Offenlegung bisher vertraulich bearbeiteter Pläne für den
Chemiepark in Marl. Der Landrat wusste nicht, was er tat. Böse Absicht ist
nicht zu unterstellen, aber eine gehörige Portion Naivität, die um so
unverständlicher ist, weil er aus Marl stammt. Die Marler Lokalpresse, zuerst
die WAZ, erkannte dagegen schnell die Brisanz des Themas. Bei einer
Westerweiterung des Industriegeländes müsste die komplette Schlenke-Siedlung
geräumt werden.
Er habe die
von den Städten und der Emscher-Lippe-Agentur gemeldeten Projekte nur
"gebündelt", lautet die Entschuldigung des Landrates bzw. die
Distanzierung von einem Papier, das unter seinem Namen veröffentlicht wurde.
Genau diese mangelnde Einflussnahme auf den Inhalt einer Zusammenstellung,
die für die Zukunft des Kreises entscheidende Bedeutung haben sollte, ist der
Vorwurf, der dem Landrat hier zu machen ist. Wenn man Schnippers
Argumentation folgt, sollte er auf die Mitgliedschaft im Innovationsbeirat
verzichten und dafür die Bürgermeister der zehn Städte bitten, sich beim Land
direkt zu informieren. Er erklärt damit selbst seine Inkompetenz.
Dumm gelaufen
Die
Projekt Ruhr GmbH war entsetzt, verärgert und schließlich nur noch belustigt
über so viel Unvermögen. Man bat um Nachbesserung. Diese Aufforderung leitete
der Landrat im September an die Städte weiter, wiederum mit einer engen
Terminvorgabe. Nachdem der Termin zur Jahresmitte geplatzt war, sollte der
Kreis Recklinghausen wenigstens bei der nächsten Verlosung am Jahresende
beteiligt sein. Die auf 22 Projekte reduzierte Fortschreibung der
Projektanmeldungen wurde am 25. Oktober auf den Weg nach Essen gebracht,
nachdem die zuständigen Ausschüsse das Papier ohne Diskussion von
Einzelheiten gebilligt hatten. Erst am 29. Oktober stimmte der Kreistag
formell der neuen Zusammenstellung zu.
Die
Erfolgsaussichten werden durch Mängel der Projektbeschreibungen geschmälert.
So fehlen vielfach Angaben zu Kosten, Terminen und zur Zahl der neuen
Arbeitsplätze, die geschaffen werden sollen. Es gelang nicht, Prioritäten zu
setzen. Die "erste" Prorität wurde 16 Projekten zugeordnet. Die
zehn Bürgermeister der kreisangehörigen Städte hätten es anders nicht
zugelassen, versuchte Schnipper zu erklären. Nicht einmal Pojekte von kreisweiter
Bedeutung wurden gekennzeichnet und besonders hervor gehoben.
Hätte man
nicht wegen der Prioritäten die Emscher-Lippe-Agentur (ELA), die sich um die
Wirtschaftsförderung für den Kreis Recklinghausen und die Städte
Gelsenkirchen und Bottrop zu kümmern hat, frühzeitig - bereits für das
Gutachten ZIRE, anstelle des ortsfemden Beraters - einschalten müssen?.
Die ELA wird ihr Konzept für die Zukunft der Wirtschaft in der Region am 31.
Januar vorstellen. Dann ist der Zug aus Essen bereits abgefahren. Vergleicht
man die von der ELA benannten Projekte mit den Listen des Kreises, dann fällt
auf, dass einige Projekte, z.B. aus Marl, fehlen.
Glücklicherweise hatte die Stadt Marl bereits im Sommer 2001 erkannt, dass
eine eigenständige Anmeldung ihrer Projekte in Essen notwendig ist. Andere
Städte, z. B. Herten, haben sich ebenso wenig auf den Landrat und die ELA
verlassen wollen.
Wer sonst,
wenn nicht der Landrat hat die Aufgabe, die Interessen der Städte zusammen
zu führen, auszugleichen und letztlich zu befriedigen, also
Kirchturmdenken zu überwinden? Die ELA überblickt die Region, die Städte
kennen die lokalen Details und der Kreis hat das Geld - das hätte doch der
Landrat zum Nutzen aller "bündeln" können, anstatt nur die Wünsche
der Städte hintereinander zu schreiben. Aber Hans-Jürgen Schnipper fehlte der
politische Gestaltungswille.
Anfang März
werden Entscheidungen über Mittelzuwendungen von rund 100 Millionen Euro
fallen. Der Projekt Ruhr GmbH liegen viel mehr Projektanträge vor als
bezuschusst werden können. Welches Projekt kommt in die Beschlussvorlage,
welches erhält letztlich die Landesunterstützung? Selbstverständlich wird der
Kreis Recklinghausen nicht leer ausgehen. Und selbstverständlich wird der
Recklinghäuser Landrat seine Verdienste in rosigen Farben schildern. Ihm
bleibt aber nur, die VEW-Millionen den Städten zu geben, da diese die
obligatorische kommunale Eigenbeteiligung nicht selbst aufbringen können.
Damit könnte der Landrat doch noch einen Beitrag zur Strukturpolitik
leisten.
(C) Bulla Media Group
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